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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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jung. Uns geht es um Ideen: Die Jungs, die Betten in ihren Büros haben, sind bedauernswerte Technospinner, die sie tatsächlich ausklappen, um ein Nickerchen zu halten.
    An jenem ersten Morgen saß er im Sitzungszimmer. Durch die Glaswand sah ich ihn, bevor er mich sah, und konnte mir nicht erklären, was mit ihm nicht stimmte. Er benutzte einen Füllfederhalter – aber das war doch in Ordnung, oder? –, und neben ihm auf dem Tisch lag demonstrativ sein BlackBerry. Sein Anzug war vielleicht eine Spur zu elegant, seine Krawatte eine Spur zu dezent, aber ich meine, schließlich ist er Unternehmensberater, da erwartet man, dass er Anzug trägt. Möglicherweise war es sein Haar, das glatter wirkte als früher und nach vorne fiel. Hatte er es gefärbt? Jedenfalls war eine gewisse Menge Gel im Spiel. Als ich den Raum betrat, blickte er unter seiner jugendlichen Haarmähne hervor und sagte: »Hallo auch.«
    »Hi.«
    Am untätigen Zeigefinger seiner linken Hand baumelte eine Ray Ban.
    »Du hast also hergefunden«, sagte ich.
    Er schwenkte die Sonnenbrille hin und her.
    »Sieht so aus.«
    Er wirkte so sicher, dass wir miteinander schlafen würden, dass ich mich auf der Stelle dagegen entschied oder mir zumindest wünschte, ein gnädiger Schleier der Dunkelheit möge sich über seine unerwartete Schwäche für Requisiten senken.
    Ich setzte mich hin, lächelte artig und sagte: »Also, wie möchtest du vorgestellt werden?«
    Der Raum füllte sich, die Besprechung begann und verlief im Großen und Ganzen wie erwartet. Es gab das übliche Geschwafel von Frank, der hinausgedrängt wurde, um anderswo zu schwafeln. Als Nächstes warfen sich meine beiden jungen Kollegen David und Fiachra in Positur, nervös über die Lücke, die sie füllen mussten. Der Chef war begeistert; man konnte sehen, dass er begeistert war, weil er so gelangweilt wirkte. Und ich – nun ja, ich war wie immer, lächelte, vermittelte und hielt mich zurück, denn ich war das Mädchen, das am Ende gewinnen würde, so selten das bei Mädchen auch der Fall ist.
    Seán blickte von einem Sprecher zum anderen, stellte einige Fragen und behielt seine Meinung für sich. Das überraschte mich ein wenig. Ich hatte mehr Extravaganz erwartet, so wie wir sie vor der Weißwandtafel in Montreux erlebt hatten, aber wenn Seán arbeitete – den arbeitenden Seán habe ich immer geliebt –, verbrauchte er nie mehr Energie als nötig. Es erinnerte mich ein wenig an Evie, diese Fähigkeit, die er besaß, sich mitten im größten Trubel unkompliziert zu geben. So gelang es mir, das Haargel und die schauderhafte Architektenarmbanduhr zu vergessen, und eine Weile sah ich ihm nur beim Denken zu und wie seine grauen Augen von einer Person zur nächsten wanderten. Und vielleicht hing es mit der Arbeit zusammen, mit dieser vernünftigen, beinahe lässigen Art, in der wir über, seien wir ehrlich, beträchtliche Geldsummen sprachen, vielleicht hing es damit zusammen, dass er in dem Raum saß, in dem ich den größten Teil meiner wachen Stunden verbrachte, aber es fühlte sich sehr intim und geradezu traumhaft an, ihn dort zu sehen – als würde ein Filmstar in Ihrer Küche Tee trinken –, und ich hatte Lust, ihn zu ficken. Zum ersten Mal gab es kein anderes Wort dafür. Ich wollte ihn Wirklichkeit werden lassen. Einen Mann, bei dem ich um neun Uhr die Straßenseite gewechselt hätte, um ihn zu meiden – um neun Uhr fünfundzwanzig wollte ich ihn ficken, bis ihm die Tränen kämen. Meine Beine zitterten davon. Meine Stimme entglitt mir, als ich den Mund zum Sprechen öffnete. Die Glaswand des Sitzungszimmers war riesig und mit einem Mal zu durchsichtig, so schutzlos fühlte ich mich.
    Nicht dass der Verlauf der Dinge immer den Erwartungen entspricht. Sechs Monate später schmiss Frank – der weiterhin immer nur schwafelt – aus mir unerklärlichen Gründen den Laden fast allein. Stattdessen war David hinausgedrängt worden, um sich anderswo in Positur zu werfen. Fiachra hatte sich ein neues Baby zugelegt, einen verzückten Gesichtsausdruck und die Neigung, auf der Toilette sitzend einzuschlafen – zum großen Ergötzen aller Mitarbeiter, die, Frauen eingeschlossen, auf Zehenspitzen heranschlichen, um seinen Schnarchtönen auf der anderen Seite der Kabinentür zu lauschen. Ich war weiterhin fröhlich und patent und insgesamt unentbehrlich und kam trotzdem bei Rathlin Communications auf keinen grünen Zweig, obwohl ich mit dem Unternehmensberater geschlafen hatte – ein Umstand, den

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