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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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und einen Kuss auf seinem Kopfkissen hinterlassen oder eine Litschi – mir war aufgefallen, dass welche in der Obstschale aus gedrechselten Holz lagen. Ich konnte zu lange oben im Badezimmer bleiben und alles gründlich ausspionieren: olivgrüne Wände, Duftkerze, ein verwitterter hölzerner Buddha, der sämtliche Ausscheidungen im Haushalt beobachtete und möglicherweise segnete. Unter dem Waschbecken stand ein weißes Gitterschränkchen, in dem sich etliche Artikel verbargen: Ich konnte einen Spritzer des Parfüms seiner Frau stibitzen oder mir den Namen für später merken (aber igitt, White Linen?). Was für Wörter sollte ich auf den Spiegel schreiben, die sich später im Dampf der Dusche entziffern lassen würden? In welche Ecke könnte ich meinen Speichel tröpfeln lassen? Die Wandschränke waren eingelassen, die Dielen dicht an dicht verlegt, aber vielleicht gab’s ja irgendwo eine Lücke oder eine Ritze, in der ein Zauber von mir verrotten oder wachsen konnte:
    Seán, wo kommt dieser Tanga her? Der unterm Bett ?
    Doch bestimmt konnte man dieser schwarzen Magie auch selbst zum Opfer fallen.
    Das Zimmer, in dem sie schliefen, war weiß. Oder nahezu weiß. Die Zimmerdecke, dem Dachgesims folgend, geschrägt und in lauter beschissenen Weißtönen gestrichen: grauenhaft ähnlich und wesentlich anders. Ich meine, ich hatte keine Farbkarte in der Hand, aber es war ein altes Haus, deshalb können wir Aileen den Nobelbonus geben; nennen wir die Dielenbretter knochenweiß, die Wände hochweiß, den Schrank – eins dieser scheußlichen Möbelstücke voller Schnörkel und Girlanden – titanweiß, und all das umgab frische weiße Laken unter einem flauschigen Federbett, das sich auf dem ein Meter fünfzig breiten Bett aufplusterte.
    Sie hatten nur ganz wenig Sachen.
    Darum beneidete ich sie eigentlich am meisten. Kein Bademantel an einem Haken, keine Schuhe unter dem Bett.
    Ich stieß eine Wandtür auf, die in ein angrenzendes Badezimmer führte: etliche Einbauschränke, Punktstrahler, eine große Duschkabine mit einem Brausekopf, breit wie ein Eimerboden, und einem weiteren, kleineren in Hüfthöhe – für besondere Sauberkeit.
    Wer könnte all das hinter sich lassen?
    Ich trat wieder auf den Flur und lauschte.
    Der Lärm unten ging weiter, gleichgültig gegenüber der Stille meines Standorts im toten Punkt des Hauses. Das Bett im Gästezimmer war schwarz von all den aufgehäuften, wartenden Mänteln. Auf der anderen Seite des Flurs der lavendelfarbene Schein von Evies Zimmer, das im Halbdunkel fast ultraviolett schimmerte. Auch hier Vollkommenheit. Am Fenster ein Traumfänger, ein kleines weißes Bett. Die Tür stand offen, ich brauchte nicht herumzuschnüffeln. Ich hielt nach einem unverwechselbaren Gegenstand Ausschau, sei er kitschig oder niedlich, der für das Mädchen selbst stand; etwas Schäbiges oder etwas aus Plastik, wie die Dinosaurierbildchen, die meine Nichte an ihre Schlafzimmertür geklebt hatte und die zu entfernen sich niemand hatte aufraffen können. Aber es gab nichts. Ich meine, es gab nichts, was mir auffiel. Aber es war ja auch nur ein flüchtiger Blick.
    Doch als ich mich eben zum Gehen wandte, hörte ich etwas, ein schreckliches, gedämpftes Geräusch, kehlig und stockend – und eindeutig menschlich, auch wenn es so klang, als würde hinter der Tür ganz still eine Katze verenden. Ich wollte mich schon verdrücken, da fiel mir ein, dass das Kind Anfälle hatte, und so kam ich nicht vom Fleck, sondern versuchte, das Richtige zu tun, während das leise, stoßweise Wimmern andauerte. Erst rauf, dann runter. Und dann wieder rauf. Und runter.
    Sie sang. Es war gar kein Anfall, es war ein Lied. Zutiefst erleichtert steckte ich den Kopf durch die Tür, und da war sie, saß auf dem Fußboden, hatte sich riesige Bose-Kopfhörer über die Ohren gestülpt und summte mit.
    Sobald sie mich erblickte, zerrte sie sich die Hörer vom Kopf. Sie versuchte sogar, sie hinter ihrem Rücken zu verstecken.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte ich. Gott, was für ein Haus .
    »Meine Mama mag das nicht«, sagte sie.
    »Soso.«
    »Sie sagt, ich seh albern damit aus.«
    »Wirklich?«, erwiderte ich und bemühte mich, heiter zu klingen.
    »Du hast ja keine Ahnung«, sagte sie in konspirativem, fast theatralischem Tonfall. Was ich mir alles gefallen lassen muss.
    Ich lachte.
    »Kennst du den schon?«, fragte ich.
    »Häh?«
    »Mami, Mami, ich will nicht nach Australien. – Sei still und grab weiter.«
    Sie verdrehte die

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