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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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genauso gut ihre Schlafanzüge mitbringen können. Auf dem Sofa hatte sie bereits ein kleines Nickerchen gemacht und war nur aufgewacht, um einen Nachschlag zu nehmen.
    Ich scheuchte meine Schwester und ihren Mann zur Tür hinaus, und als sie in die ländliche Dunkelheit traten, wusste ich, dass es unklug war, zu bleiben. Ich sah ihnen nach, bis sie das Gartentor erreichten, Fiona winzig neben ihrem massigen Mann. Sie streckte den Arm aus, um seine Hand zu ergreifen. Da drehte ich mich zu Aileen um und sagte: »Diese Mangoscheiben sind gemeingefährlich. «
     
    Etwas früher hatte ich mich zu Seán und Fiachra gesellt, die sich neben dessen schlafender Frau aufhielten.
    »Im ersten Jahr kein Sex«, hatte Fiachra in sein Weinglas gemurmelt. »So heißt es doch immer, oder?«
    »Worum geht’s?«, fragte ich und blickte hinter mich, während ich mich neben Seán auf der Rückenlehne niederließ.
    »Ach, hör bloß auf«, sagte Seán. »Ihr werdet euch noch wundern.«
    Die Frau hinter uns schlief, während das Baby – ich weiß es nicht – lächelte, am Daumen nuckelte oder lauschte und es besser wusste und Seáns Hand auf der Rückenlehne die meine berührte. Ich spürte die dicken Hautfalten an seinen Knöcheln. Und es war verblüffend heiß, dieses winzige Stück von ihm. Das war alles. Er bewegte sich nicht, ich auch nicht.
    Aber da wir nun einmal begonnen hatten, wie sollten wir aufhören? Das klingt wie eine simple Frage, doch die Antwort darauf weiß ich immer noch nicht. Ich meine, wir hatten etwas begonnen, das nicht beendet werden konnte, außer indem es geschah. Es ließ sich nicht unterbinden, sondern nur vollenden. Ich meine die Frau mit den schokoladeüberzogenen Mangos, die den Sherry Trifle beäugte, und die Burschen mit dem bulgarischen Häuserkomplex, in dem es wahrhaftig ganze drei bulgarische Swimmingpools gab, zwei im Garten und einen auf dem Dach, und jeden mit einem letzten Drink, der darüber nachdachte, einen allerletzten zu sich zu nehmen, und mich selbst, die ich in Seáns Haus saß und mit meiner Hand die seine berührte. Natürlich waren wir alle betrunken, aber ich hätte es ebenso wenig dabei bewenden lassen können, wie Fiachras Baby hätte beschließen könnten, ein paar Jahre länger im Bauch zu verbleiben. Ich konnte es ebenso wenig ignorieren, wie man den Geruch des Meeres am Ende einer Straße ignorieren konnte – wie man kehrtmachen konnte, ohne sich seiner Existenz und seiner Weite zu vergewissern.
    Unsere Spiegelbilder schlingerten und flackerten über die trüben alten Scheiben der vier langen Fenster in all ihrer Weihnachtspracht, und für einen Moment schien es, als wäre bereits alles geschehen. Als hätten wir geliebt und wären gestorben, ohne eine Spur zu hinterlassen. Und das, wonach die ganze Welt sich sehnte, sollte Wirklichkeit werden.
    Kaum war Fiona fort, betrat ich mit einer geschnorrten Zigarette in der Hand die Küche. Dort befand sich Seán, der gerade eine Flasche Rotwein öffnete.
    »Was soll das?«, fragte er.
    »Geht’s hier nach draußen?«
    »Lass es«, sagte er.
    Ich blickte auf die Zigarette hinab und sagte: »Ach, Herrgott noch mal.«
    Ich ging zum Spülbecken, drehte den Hahn auf und ertränkte das Ding, dann öffnete ich nacheinander die Schränke unter der Spüle, eine Tür nach der andern, und warf es in Seán Vallelys höchstpersönlichen Haushaltsmüll. Anschließend richtete ich mich auf und blickte ihn an.
    »Uiii«, sagte ich. »Fabelhafte Küche. Eiche?«
    »So was Ähnliches«, antwortete er.
    Und ich schlenderte zurück ins Getümmel.
    Es nahte die Zeit des Abspanns, in der jeder voller Bedauern Abschied nimmt, aber niemand wirklich geht, die Stunde, in der Taschen abhandenkommen und Taxis nicht vorfahren. Es war die verlorene Stunde, die Stunde der sich auflösenden Absichten, und in der so gewonnenen Frist, als Aileen im Wohnzimmer nach Dahlias zurückgelassenen Schuhen fahndete, geschah es, dass ich im oberen Stockwerk Seán küsste, oder er mich.
    Es war Fiachras Schuld. Ich habe mit ihm noch nie eine Veranstaltung erlebt, die er freiwillig verlassen hätte. Ob betrunken oder nüchtern, er gehört zu den Leuten, die man rückwärts durchs Leben schleifen muss. Um Bewegung in die Sache zu bringen, erbot ich mich, die Mäntel zu holen. Auf halbem Wege hörte ich, wie Seán hinter mir die Treppe heraufkam und sagte: »Ich mach das schon.« Er folgte mir über den Flur, und ich drehte mich erst um, als ich im Zimmer des Au-pair-Mädchens

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