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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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kleines, breitbrüstiges Ding mit ungewaschenem Haar, und brüllte die Schauspielerin auf der Bühne an: »Ey, zeig uns deine Fotze!«
    So war das damals. So ähnlich.
    Natürlich wollte ich dem Kind nichts Derartiges nachrufen. Ich hatte keine Worte für den Schrei in meinem Kopf und auch nicht die Absicht, nach ihnen zu suchen, aber was immer in mir vorging, es war doch ein schwindelerregender Augenblick. Dazustehen und zum ersten Mal den Duft von Seán Vallelys häuslichem Leben einzuatmen – voller Weihnachtsorangen und Nelken –, den niedlichen kleinen Rücken seiner Tochter zu betrachten, die mit sorgfältig ausgestreckten Armen die Treppe hinaufstieg, mit ihren weißen Söckchen und der frischen und geheimen Haut ihrer Kniekehlen wie ein Kind aus den Fünfzigern – ich glaube nicht, dass es möglich gewesen wäre, Megan in dem Alter auch nur in einen Rock zu stecken, außer vielleicht mit Leggings –, aber da war sie nun, in einem perfekten kleinen Kilt und, du meine Güte, in schwarzen Lackschuhen.
    Dann stand Aileen in der Diele, voll gespielter Aufgekratztheit und Präzision.
    »Kommt rein, kommt rein!«, sagte sie und küsste einen nach dem anderen, erst Fiona, dann Shay, dann mich. »Frohes neues Jahr!«
    Ich versuche, mich an den Geruch oder die Beschaffenheit ihrer Haut, ihrer Lippen zu erinnern, daran, wie ihre Nähe sich anfühlte. Doch als sie zu dem Kuss ansetzte, fiel bei mir eine Klappe. Sie trat rasch zurück. Und lächelte erneut.
    »Ich bin ja so froh, dass ihr kommen konntet. Ein paar von den anderen sind drinnen.«
    Von welchen anderen?
    Sie war nicht so alt, wie ich sie in Erinnerung hatte, hatte in ihrem reizlosen, nützlichen Gesicht jedoch einen ziemlich ältlichen perlmuttrosa Lippenstift. Sie trug ein schwarzes, türkis eingefasstes Faltenkleid von Issey Miyake, dessen Kragen ihren Hals mit spitzen Rüschen umschloss. Darin wirkte sie wie ein weiches Lebewesen, das aus seinem schönen harten Panzer ragt.
    Im Gegensatz zu ihrer Aufmachung war das Haus überraschend schlicht. Rechts von der Tür, durch die wir hereingekommen waren, gab es ein Arbeitszimmer und am Ende der Diele eine Küche. Auf der anderen Seite hatten sie eine Zwischenwand durchbrochen, um Platz für ein geräumiges Empfangszimmer zu schaffen.
    »Hinreißend«, sagte ich, während ich alles auf mich wirken ließ.
    »Ach, es ist weder Fisch noch Fleisch«, sagte sie. »Eigentlich wollte ich die ganze Rückwand herausnehmen, aber Seán meint, es sei Zeit, das Haus zu verkaufen und wieder in die Stadt zu ziehen.«
    »Wie ist denn das neue Haus?«, fragte Fiona.
    »Das ist es ja eben. Wir sind völlig begeistert.«
    »Das ist doch wunderbar«, sagte Fiona.
    Sie wandte sich zu mir: »Wir haben dieses herrliche alte Haus mit Blick auf den Strand von Ballymoney gefunden. Auf einer Anhöhe.« Dann wieder zu Fiona: »Wann kann Megan denn mal kommen? Weißt du, ich fahre mit den Kindern direkt von der Schule hin, und Seán kann nachkommen, wann er will, vielleicht jedes zweite oder dritte Wochenende.«
    Natürlich hatte ich auf Anhaltspunkte gehofft, aber es überraschte mich doch, dass sie mir so entgegengeschleudert wurden, kaum dass ich durch die Tür getreten war. Es war nicht die Tatsache, dass sie mir von ihrem Zweithaus erzählen wollte – alle Leute über vierzig wollen, dass man von ihrem Zweithaus weiß –, nein, sie teilte mir doch tatsächlich ihren Terminplan mit. Sie stieß mich geradezu mit der Nase darauf: Mein Mann ist jeden zweiten (oder dritten) Freitag abkömmlich, aber samstags steigt er in den Wagen und folgt mir aufs Land, wo wir ein Kaminfeuer anzünden, eine gute Flasche Rotwein trinken und von der Anhöhe auf das wunderbare, sich ständig verändernde Meer schauen.
    Und das alles, bevor ich ein Getränk in der Hand hatte.
    »Oh, wie schön«, sagte ich zur Ablenkung und betrachtete eine Bilderserie an der Wand. Es war eine Reihe von Fotos in quadratischen dunklen Rahmen; auffallend überbelichtete Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Es dauerte einen Moment, bevor ich Evie erkannte, erst auf einer, dann auf einer anderen – es waren Studioaufnahmen von Evie als Krabbelkind. Sehr apart und auf Kunst gemacht. Aileen in weißem Hemd, an einer weißen Wand lehnend. Ein zerzauster Seán.
    Ich glaubte, aus der Küche seine Stimme zu hören, und trat rasch nach links in das lang gestreckte Wohnzimmer, das beruhigend voll von Menschen war. Vier wunderschöne Flügelfenster. Das Essen an einem Ende, die Getränke neben

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