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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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Position, um ihn auf den Knien abzustellen. Schließlich stellte sie ihn auf die Sofalehne, schraubte den weniger schwangeren Teil ihres Körpers in seine Richtung und ließ den anderen Teil, wo er war.
    »O Gott.«
    Als sie zu essen begann, glaubte ich, sie wimmern, regelrecht wimmern zu hören. Ich wandte mich ab, um das Zimmer im Blick zu behalten, und aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie der Ballon ihres Bauchs weiter anschwoll.
    »O Gott.«
    Irgendetwas wanderte über ihren Bauch, eine Kräuselung oder ein Schatten, und ich fuhr zusammen, so wie man bei einer Spinne oder bei einer Maus zusammenfährt. Ich starrte sie an, und es geschah abermals – es sah aus, als würde sich ein Schulterknochen heben und wieder senken, wie etwas, das sich durch Latex drückte, nur dass darunter kein Latex war, sondern Haut.
    Vielleicht war es ein Ellbogen.
    »Nachtisch?«, fragte ich.
    »Gott, ja«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. Und ich stand auf und ließ sie zurück, ohne jemals Nachtisch für sie aufzutreiben oder sie noch einmal zu füttern.
    Es war die Sorte Party, wo niemand Hähnchenhaut aß. Auch wenn sie noch so schön mit Honig glasiert war und einen Hauch von Chili aufwies, blieb die Haut auf jedem Teller zurück. Das entdeckte ich später, als ich zwischen den Gästen einen Slalom lief, Teller einsammelte und sie vor mich hin summend in die Küche brachte. Ich stellte sie auf die Anrichte, direkt neben Seán, der sein Glas Whiskey umklammerte und womöglich wünschte, ich würde gehen.
    Oder wünschte, alle anderen würden gehen. Ich wusste es nicht genau.
    »Schönes Weihnachtsfest gehabt?«, fragte ich.
    »Ja, danke«, sagte er. »Und du?«
    »Wunderbar.«
    Ich hatte, nebenbei gesagt, nicht die leiseste Absicht, zu gehen. Dafür amüsierte ich mich viel zu sehr.
    Als ich wieder am Büfett stand, zeigten Fiona und die Mamas, was sie draufhatten. Lästernd steckten sie die Köpfe zusammen und taumelten lachend zurück, wobei sie die Hände vor den Mund schlugen: Auch das noch! Man beugte sich zur Seite, um ein Glas zu ergreifen oder ein Extrahäppchen von diesem oder jenem zu ergattern. Es gab kleine Schalen mit glasierten Nüssen und getrocknete Mangoscheiben, die mit dunkler Schokolade überzogen waren. Richtig dunkel. Mindestens 80 Prozent.
    »Bin ich tot? Ist dies der Himmel?«, fragte eine Frau mir gegenüber, bevor sie den Kopf hob und laut verkündete:
    »Du Scheiße, die kenne ich von der Schule!«
    Sie unterhielten sich über Schönheitsoperationen. Tatsächlich hatten einige der Frauen im Zimmer jenen konfusen Blick, den man von Botox bekommt: als habe man eine Gefühlsregung, könne sich aber nicht entsinnen, welche. Der Mund einer Frau war so aufgedunsen, dass er nicht um den Rand ihres Weinglases passte.
    »Jemand sollte der Frau einen Strohhalm bringen«, sagte die Schulfreundin, drehte sich um und begutachtete die Sherry Trifles neben ihr. Dabei hob sie die Hand an ihren faltigen Hals.
    Am anderen Ende des Zimmers erkannte ich jemanden vom Fernsehen und eine grässliche Dumpfbacke von der Irish Times . Und dann fiel mir ein, dass Aileen natürlich eine Stelle hatte; sie arbeitete irgendwo in der Hochschulverwaltung – was auch die alarmierend gekleideten Typen von der Uni erklärte, die sämtliche Stühle in Beschlag nahmen und mit phlegmatischen Blicken das Zimmer observierten. Die Ehemänner aus Enniskerry standen herum und unterhielten sich über Immobilien: ein Komplex in Bulgarien mit drei Swimmingpools, ein ganzer irischer Wohnblock in Berlin. Seán beackerte den Raum nicht einfach, er spielte ihn wie ein Instrument. Er lief umher, säte langsam wirkende Witze, sah sich um und erntete grölendes Gelächter.
    »Keine Sorge«, rief er über die Schulter hinweg. »Morgen schicke ich euch die Rechnung dafür!«
    Auch Aileen stand unter Strom. Sie fing mich in der Küchentür ab und stellte mir eine Menge interessanter Fragen. In ihrem leicht angeheiterten Zustand, eine Champagnerflöte in der Hand, quetschte sie mich über mein Leben aus: »Wo wohnst du jetzt?« Und sie war so beschwingt und heiter, sie hatte alles so sehr unter Kontrolle, es war – und da irre ich mich nicht – wie ein beschissenes Bewerbungsgespräch. Für welchen Posten? Wer weiß.
    Mir war es egal.
    Ich hatte einige Gläser Weißwein zu viel gekippt und einen Ring an meinem Finger, einen großen Plastikklunker aus der wilden Jugend meiner Mutter, der ebenso gut aus Kryptonit bestehen mochte. Ich konnte nach oben gehen

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