Anatomie einer Affäre: Roman
warme Hand und wandte mich zum Gehen.
Fiona hinter mir sagte: »Ach, die Kinder! Die Kinder!«, als seien auch sie gestorben, dabei waren sie eindeutig nicht gestorben. Und alles wurde wieder ganz gewöhnlich. Ein nächtlicher Krankenhauskorridor, Blumen auf den Fensterbänken, jemand, der hustete, meine Schwester, die beiden Männer, die uns durch die Trübsal schoben.
»Wer passt auf sie auf?«, fragte ich.
»Eine Frau in meiner Straße – Aileen Vallely. Du kennst sie: Madame Issey Miyake.«
Und die Männer führten uns den Korridor entlang zur Schwesternstation, wo wir vor dem hohen Tresen stehen blieben und uns fragten, ob es jemanden gab, der uns sagen konnte, was als Nächstes zu geschehen hatte.
II
Crying in the Chapel
Die ganze Woche warteten wir auf den Schnee. Als Erstes kam die Kälte. Sie brachte die Luft zum Klirren. Selbst drinnen fühlten die Räume sich größer an, schärfer umrissen. Das ganze Land war in heller Aufregung. Auf den Nebenstraßen von Leitrim ereigneten sich dreizehn Unfälle, in Donegal gab es Blitzeis. Am Dienstag sahen wir zu, wie London vom Schnee eingeschlossen wurde; wir sahen, wie er die Cotswolds einhüllte, sich auf die Geländer der Brücke nach Anglesey setzte und mit der grauen Irischen See verschmolz, als wollte er seine List unter Beweis stellen. In Großbritannien schneite es; also würde es auch hier bald schneien.
Gestern Morgen war das Licht gedämpfter, schienen die Wände näher gerückt zu sein. Seán stieg aus dem Bett und öffnete die Vorhänge zum hinteren Garten, als suche er nach etwas, und da fing ich ihn auf: den hohen, süßen, unerhört zarten Duft von herannahendem Schnee.
Seán sagte, er habe gar nicht gewusst, dass man Schnee riechen könne. Er warf mir einen »Verrücktes Mädchen«-Blick zu, trat in den Flur und zog an der Lampenschnur im Bad. Ich hörte, wie sie ein-, zweimal gegen den Spiegel prallte. Dann wurde es still, so still, als habe er aufgehört zu existieren. Ich blickte auf die Stelle am Fenster, wo er gestanden hatte, und sah die Eisblumen, die sich über den Rand der Scheibe rankten.
Es ist bitterkalt hier.
Wenigstens ist die Bettdecke leicht und dick. Es ist so einfach, meine Beine in die Wärme gleiten zu lassen, die er hinterlassen hat, sein Kissen zu nehmen, es auf die kühle Seite umzudrehen und auf mein eigenes zu legen.
Ich liege da und betrachte den vertrauten Tagesausschnitt mit seiner neuen Spitzenbordüre. Unser Atem, unser Körperschweiß hat sich zu einem Kristallnebel verdichtet, aus dem über Nacht Farnwedel und Blümchen aus Eis entstanden sind.
Das Zimmer geht nach Osten. Das spärliche Licht des Morgengrauens ist mir ebenso vertraut wie alles andere, aber heute Morgen sind die Bäume von einem dichteren Grün, die Wolken hängen tief und haben die bläuliche Farbe nicht gefallenen Schnees.
Ohne eigenes Verschulden befinde ich mich wieder in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Es ist der fünfte Februar – auf den Tag genau einundzwanzig Monate, seit sich meine Mutter, den Mantel fächerförmig um sich hergebreitet, auf den Fußweg gesetzt hat. Und noch immer bringe ich es kaum über mich, bestimmte Türen zu öffnen. Nicht dass wir hier leben. Wir haben nur einiges zu erledigen. Insbesondere Seán lebt nicht hier, obwohl es schon fast ein Jahr her ist, seit es ihn vor diese Tür geschwemmt hat. Wir befinden uns in einer Zwischenphase. Wir leben von gestohlener Zeit. Wir sind verliebt.
Seán, nebenan im Badezimmer, seufzt auf, und nach einer abwartenden Pause beginnt er zu pinkeln. Als er fertig ist oder fertig zu sein scheint, entsteht eine weitere Pause. Danach ein letzter kleiner Strahl – eine Nachlese. Der Eindruck, dass es ihm Mühe macht, bereitet mir Sorge; eigentlich gibt es doch nichts Einfacheres, als Wasser zu lassen, oder? Und ich erinnere mich an meinen Vater, der wie eine Planke über die Kloschüssel gelehnt dastand, die Hände gegen die Badezimmerwand gestützt, eine Seite seines Gesichts in den Arm geschmiegt. Und wartete.
»Gott, ist das kalt hier«, tönt Seáns Stimme.
Er betätigt die Toilettenspülung, dann kommt er ins Zimmer zurück, um einen Bademantel vom Türhaken zu nehmen. Der Bademantel aus dickem Frotteestoff hat ein Karomuster und riecht, als müsse er gewaschen werden. Ich meine, so riecht er, wenn es kalt ist. Wenn es warm ist, riecht er nach Seán.
Er zieht ihn über seinen Pyjama aus gestreiftem Baumwolljersey.
Auch wenn kein Schneefall droht, trägt
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