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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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Einmal stieg er aus dem Wagen und trat an die Lücke zwischen dem Haus und der Garage, um die Aussicht aufs Meer zu begutachten. Dann kam er rückwärts wieder zum Wagen und nahm dabei die Regenrinnen in Augenschein.
    »In Ordnung«, sagte er.
    Und wir ließen die Frau zurück, mit ihrem Trampolin, ihrer Schaukel, unter der das Gras noch nicht abgetreten war, und ihrem Leben am Meer.
    Ich überprüfte andauernd mein Handy. Niemand wusste, wo ich war, und ich fühlte mich abgeschnitten – nahezu verlassen. Während der ganzen Zeit, die ich dort verbrachte, war ich damit beschäftigt, mir den Anruf auszumalen: den von Conor; den vom Handy meiner Mutter, den ich beantworten würde, nur um am anderen Ende eine fremde Stimme zu vernehmen. Dabei vermisste mich überhaupt niemand, niemand verlangte nach mir, das Handy blieb stumm. Nur Sligo belegte uns mit seinem Voodoo-Bann, als wir die vergessenen Sträßchen zwischen dem Ben Bulben und dem Meer entlangschlitterten.
    Am Glencar Lake rezitierte er »Das geraubte Kind« von W. B. Yeats: »Komm hinfort, o Menschenkind! Auf zu Wassern, Wildnis, Wind.« Dann parkten wir jenseits des Wasserfalls, er schob seinen Sitz zurück, und an der ausladenden Art, wie er dasaß, merkte ich, dass er etwas Ungezogenes von mir erwartete, dass dies eine Belohnung war für die Kulisse und die Poesie und für die Tatsache, dass wir uns in seinem eigenen sehr schönen Wagen befanden. Und ich dachte, das kann doch wohl nicht wahr sein. Dieser Mann wird doch wohl nicht von mir erwarten, dass ich ihm einen blase, am helllichten Tage, auf einem öffentlichen Parkplatz. Dieser Mann, wer immer er ist .
    Ich öffnete das Handschuhfach und sah mir die CDs an.
    »Guillemots! Gehört die dir?«
    »Ja«, sagte er.
    Und er fuhr zu schnell zum Hotel zurück, wo ich ihn auf dem Weg zur Dusche nicht verführen konnte und er mich nicht auf dem Weg aus der Dusche. Und so ging es weiter. Wir riskierten eine Mahlzeit in der Stadt und fanden sie grässlich. Danach kamen wir zurück und stritten uns. Ich saß weinend auf dem Bett und sagte: »Warum bist du so gemein zu mir?«
    Er hielt inne. Er ging zum Fenster und zog den Vorhang zurück, um die Dunkelheit oder sein eigenes Spiegelbild vor der Dunkelheit zu betrachten. Dann ließ er den Vorhang fallen.
    »Gina«, sagte er bedächtig, als erklärte er etwas, das zu verstehen er eine Weile gebraucht hatte. »Eigentlich kennen wir uns kaum.«
    Was uns nicht davon abhielt, so zu tun, als ob. Wir hatten vier ganze Zimmer dafür. Ich konnte eine Schranktür in der Kochnische zuknallen, er konnte sich räuspern, während er auf der Bettkante saß, um seine Schuhbänder zu lösen. Ich konnte am Tisch ein Glas Wein trinken, während er hinter mir auf dem Sofa die Zeitung aufblätterte. Er konnte am Schlafzimmerfenster stehen und auf den Parkplatz hinausblicken, während ich mit der Fernbedienung die Kanäle durchging. So konnten wir uns bewegen: als hätten wir einen Anspruch aufeinander, als wären wir miteinander vertraut. Aber all das täuschten wir nur vor. Auch das war mir klar. Die Art, wie wir uns anlehnten oder saßen, wie wir unsere Blicke lenkten, wie wir uns präsentierten und arrangierten: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad, Flur. Und später, als wir zu Bett gingen, das gleiche Spiel mit Kissen und Bettdecke. Wenn wir uns einander zu- oder voneinander abwandten, war selbst unser Atem eine Art Vorführung.
    Im Dunkeln gab etwas nach.
    Seán sagte, seine Ehe sei unerträglich. Nicht zu Ende, sondern »unerträglich«.
    »Du hast ja keine Ahnung«, sagte er.
    Das erinnerte mich an seine Tochter, die in ihrem Schlafzimmer auf dem Boden gesessen und genau das Gleiche gesagt hatte: »Du hast ja keine Ahnung.« Was ich mir alles gefallen lassen muss .
    Aber wir redeten nicht über seine Tochter, und als ich mich erbot, über Conor zu reden, fühlte auch das sich verkehrt an.
    Wir redeten über Aileen. Natürlich. Wir redeten über seine Frau – denn das ist die Sache mit der gestohlenen Liebe: Es ist wichtig zu wissen, wem man sie stiehlt.
    »Du verstehst das nicht«, sagte Seán. Doch ich verstand es sehr wohl; die falsche Frau, was immer das war, und ihre Unentrinnbarkeit. Um ehrlich zu sein, hatte ich seine Frau allmählich satt; immer schien sie bei uns zu sein. Ein Teil von mir begann zu denken, dass sie vermutlich eine ganz nette Frau war und überhaupt nichts Abschreckendes an sich hatte.
    »Sie ist einfach, weißt du …«
    »Ich weiß.«
    Wir brachten es hinter

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