Anatomie einer Affäre: Roman
Seán im Bett einen Pyjama. Er sagt, das habe er sich nach Evies Geburt angewöhnt – nicht dass sie hier ist, wo sie ihn sehen könnte, außer an den Wochenenden. Dennoch läuft er gesittet herum und bewahrt die Welt Gott sei Dank vor dem verderblichen Anblick seines nackten Körpers.
Seine Hausschuhe sind braune Lederpantoffeln, die, wenn er im Zimmer umherläuft, ein klatschendes Geräusch machen. Er wühlt in seiner Sporttasche und schüttelt seine schmutzigen Trainingssachen in den Wäschekorb. Dann geht er wieder ins Bad, um sein Duschgel und ein frisches Handtuch zu holen, und als die Tasche gepackt und der Reißverschluss zugezogen ist, drapiert er ein Jackett darüber. Die Anzüge habe ich ihm abgewöhnt, aber seine Hemden nehmen sich noch immer zu makellos aus. Inzwischen gibt er sie unter enormen Kosten in die Wäscherei – seit jenem Morgen, als er eins aus dem Kleiderschrank holte und verwundert fragte: »Stimmt was mit dem Bügeleisen nicht?«
Die Hemden kommen jetzt also aus der Kommode, die Pappen enden in einem Haufen obenauf, und die kleinen Stecknadeln landen auf dem Boden.
»Ich bestelle den Mann demnächst noch mal her«, sage ich.
»Gott, es ist arschkalt«, sagt er und streift erst den einen, dann den anderen Lederpantoffel ab, lässt die Schlafanzughose fallen und steigt mit einem versetzten Hüpfer in seine Unterhose.
»Gottogottogott«, sagt er, während die Eingeweide des Heizkörpers stöhnen und im Erdgeschoss etwas vibriert.
Es ist mir gleich, ob er am Wochenende einen Pyjama trägt. Es ist mir gleich, ob er an jedem Tag der Woche einen Pyjama trägt. Wir sind verliebt. Er kann tragen, was er will. Allerdings frage ich mich, ob er auch nur ein Mal nackt durch dieses Zimmer gegangen ist; gab es im vergangenen Sommer einen Tag, an dem ich seine sich gegen das Fensterlicht abzeichnende Silhouette sah? Denn die albernste Sache an Seáns nacktem Körper ist seine Reinheit. Und so heftig es mich seinerzeit nach ihm gelüstete – immer ging es darum, ihn so weit zu bekommen, dass sein Körper einfach so ist, wie er sein will – so grausam oder so unbefangen. Ich würde sagen, er hat wenig an sich, was ein Kind erschrecken könnte.
»Was hab ich mir nur gedacht?«, sagt er. »Ich muss doch in Budapest sein.«
»Heute?«
»Nur heute Abend. Um alles zu regeln.«
»Von mir aus«, sage ich.
Er holt seinen Reisetrolley vom Kleiderschrank, dann überlegt er es sich anders, legt ein weiteres Hemd in seine Sporttasche und nimmt es wieder heraus.
»Was tue ich? Was tue ich hier?«
»Wo übernachtest du? Im Gellert?«
»An das Gellert mag ich gar nicht denken«, sagt er.
Ich weiß nicht, ob das ein Kompliment an mich sein soll oder nicht. Irgendwann im letzten Jahr, ehe der ungarische Forint ganz den Bach runterging, hatten wir ein Wochenende dort verbracht. Das scheint eine Ewigkeit her zu sein. Ein Stück flussaufwärts konnte man sogar Seáns Apartment sehen; eine Reihe dreier wunderschöner Fenster in einem Gebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert auf der anderen Uferseite. Er hatte die Wohnung an einen Typen vermietet, der behauptete, Importeur von Mobiltelefonen zu sein – vielleicht war er das ja auch. Auf jeden Fall ist er jetzt verschwunden, zusammen mit vier unbezahlten Monatsmieten. An jenem längst vergangenen Wochenende – wie ich schon sagte: erst letztes Jahr, im August 2008, als noch alles offen war – brachte Seán den Papierkram zum Abschluss, gab dem Telefonimporteur einen Klaps auf den Rücken, und wir zogen los, um den Nachmittag in den heißen Quellen des Hotels Gellert zu verbringen. Wir planschten in dem herrlichen alten Bassin umher, dann gingen wir unserer eigenen Wege: er zu den nackten Männern und ich zu den nackten, überwiegend alten Frauen jeglicher Körperform und -größe, die stöhnten, wenn sie sich in das sanfte Heilwasser gleiten ließen oder es sich in tröstlichen kleinen Wellen gegen den Leib schwappten. Ich glaube nicht, dass wir uns in Budapest geliebt haben. Natürlich verdienten wir Geld, oder Seán verdiente Geld, aber dort unten gab es zu viel Geschichte, wenn man sich in den heißen Becken einweichte und ins kalte Becken sprang. Zu viele schlaffe Schenkel und kahle Venushügel und gelbe Bäuche mit altsibernen Dehnungsstreifen. Mittendrin zwei California Girls, deren schöne falsche Brüste bis zu den Spitzen im Wasser steckten und die entsetzt um sich blickten, als wollten sie sagen: Das ist so was von daneben – es muss doch wohl
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