Anatomie
verschwunden.
Schweren Herzens rief ich Steve Morgan an und berichtete ihm von dem zweiten Diebstahl. »Das verkompliziert das Bild«, sagte er, womit er exakt das aussprach, was auch ich dachte. Es konnte bedeuten, dass der Diebstahl von Leenas Knochen reine Vernebelungstaktik war und die ausgehebelte Tür zu meinem Büro nur Show. Es konnte auch bedeuten, dass Dr. Garland Hamilton keine leeren Drohungen ausgestoßen hatte, als er mich vor dem Gerichtsgebäude konfrontiert hatte.
»Haben Sie kürzlich einem blinden Mann den Stock gestohlen?«, fragte Morgan. »In der Kirche einen Klingelbeutel mitgehen lassen? Einem Baby seinen Lutscher weggenommen? Eine Nonne getreten? Ich muss Ihnen sagen, so viel schlechtes Karma an einem Ort habe ich nicht mehr gesehen, seit Bernie Keriks Nominierung an die Spitze der Homeland Security zu einem halben Dutzend Skandale implodierte.«
»Ein Unglück kommt selten allein«, sagte ich verdrießlich. »Ich sitze auf dem heißen Stuhl. Ich trage eine Zielscheibe auf der Stirn.«
»Scheißdreck«, sagte er, aber er versprach mir, die Spurensicherung noch einmal vorbeizuschicken, um sich die Skelettsammlung vorzunehmen. Auch wenn wir beide wussten, dass sie mit leeren Händen wieder rauskommen würde.
34
Der Kudzutunnel zu Jim O’Conners Versteck war mir allmählich so vertraut wie die Einfahrt vor meinem Haus. Ich hatte Jim vor einer Stunde angerufen, um ihm von dem zweiten Knochendiebstahl zu berichten und eine neuerliche Einschätzung abzugeben, wie unsere Aussichten standen, Leenas Skelett je zurückzubekommen – nicht sehr gut. »Ich war mir ziemlich sicher, sie wäre irgendwo in Cooke County, in den Händen von jemandem, der ein Dienstabzeichen trägt«, sagte ich. »Jetzt habe ich keinen Schimmer mehr, wer sie hat, wo sie ist und ob wir sie je zurückbekommen.«
Er nahm die Nachricht ruhiger auf, als ich erwartet hatte; ja, er versuchte sogar, mich über den Verlust hinwegzutrösten. »Nun, ich hoffe, Sie bekommen die Knochen wieder, und ich hoffe, Sie schnappen den, der sie geklaut hat. Aber vergessen Sie nicht, diese Knochen sind nicht Leena. Sie sind nur das, was von dem übrig ist, was sie einmal war, vor langer Zeit.« Und das von einem Mann, den ich nicht nur einmal, sondern zweimal in die Knie gehen gesehen hatte, zuerst bei der Nachricht, dass sie gefunden worden war, und dann, als er erfuhr, dass sie schwanger gewesen war. Er besaß ein bemerkenswert unverwüstliches Naturell. »Hören Sie, wenn Sie Zeit haben, dann kommen Sie mich doch besuchen«, sagte er als Nächstes. »Ich würde Ihnen gern etwas zeigen. Als Anthropologe wird es Sie interessieren; und vielleicht muntert es Sie ja auch ein wenig auf.« Mehr wollte er am Telefon nicht preisgeben.
Auf der Fahrt dorthin überlegte ich fieberhaft, um was es wohl ging. Hatte er etwas gefunden, das Licht auf Leenas Tod oder die Identität ihres Mörders warf? Seine Formulierung – »als Anthropologe« – verwirrte mich jedoch. Was meinte er damit? Hatte er einen drei Jahrzehnte alten Hinweis oder Beweis ausgegraben? Einen bahnbrechenden Artikel über Höhlenbeerdigungen? Warum sollte es mich als Wissenschaftler mehr interessieren denn als Mensch, der über sämtliche Hügel von Cooke County geschleppt worden war – und auch in einige hinein?
Als ich vor dem berankten Bauernhaus vorfuhr, hatte ich den Eindruck, dass der Kudzu überall an den Rändern fast einen halben Meter mehr geschluckt hatte. O’Conner schien sich jedoch keine Sorgen zu machen. Er saß auf demselben Schaukelstuhl wie bei unserer ersten Begegnung. Er hob eine Hand zum Gruß, ohne seine weit ausholenden Schaukelbewegungen zu unterbrechen.
Ich stieg die ausgetretenen Stufen zur Veranda hinauf, und O’Conner gab der Armlehne des zweiten Schaukelstuhls neben sich einen Schubs, womit er diesen ebenfalls in Bewegung setzte. Ich passte den richtigen Moment ab und ließ mich darauf nieder. Mein Rhythmus passte sich rasch dem seinen an.
»Hey«, sagte ich. »Warum sind Sie nicht im Gefängnis? Der Sheriff hat schon vor Tagen gesagt, er würde Sie verhaften.«
Er kicherte. »Sie beobachten mein Haus in der Stadt. Von der Bleibe hier wissen sie noch nichts.«
Nach einer Minute langte er in seine Hemdtasche, holte ein Foto heraus und reichte es mir. Die Ecken waren abgestoßen, und die Farben waren im Laufe der Zeit verblasst, doch die hübsche blonde junge Frau, die in die Kamera lächelte, war unmöglich zu verwechseln. Es war Leena.
»Das hat
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