Anatomie
um, doch der war nirgendwo zu sehen.
»Klang so, als würde Jim sich ein Weilchen rar machen«, sagte ich.
»Gute Idee. Mich mögen die Kitchings auch nicht besonders, aber Jim sind sie noch sehr viel unfreundlicher gesonnen.«
»Glauben Sie, sie finden ihn?«
»Nein, nicht wenn er nicht gefunden werden will. Zum Teufel, er war Army Ranger, und er ist in den Bergen hier aufgewachsen. Er könnte sich, wenn er wollte, für den Rest seines Lebens hier irgendwo verstecken und sich von dem Land ernähren.«
Wahrscheinlich hatte er recht. »Hey, Waylon?«
»Ja, Doc?«
»Ich bin froh, dass Sie nicht da oben waren und geschossen haben.«
Eine ganze Reihe Gefühle spiegelten sich in rascher Abfolge in seiner Miene. »Ich auch, Doc. Aber andererseits bin ich’s auch wieder nicht. Wissen Sie, was ich meine?«
Ich wusste nur zu gut, was er meinte.
35
Williams erschien wenige Minuten nach dem Notruf; das Blinklicht auf seinem schwarzweißen Cherokee blitzte. Vor der Veranda kam er rutschend zum Stehen, dann sah er den schwelenden Hubschrauber in dem Feld und steuerte dorthin, wo Waylon und ich standen. Er sprang aus dem Wagen und starrte auf das Wrack, dann wirbelte er herum, um uns anzusehen. »Was ist hier passiert?«, wollte er wissen. Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er seinen Revolver und richtete ihn auf Waylon. »Hände hoch, und dann rüber zum Wagen.« Waylon blinzelte überrascht, hob jedoch langsam die Arme.
»Er hat nichts damit zu tun«, sagte ich. »Er kam gerade mit dem Wagen angefahren, als die Schüsse losgingen. Er ist auf den Berg rauf zu dem Schützen gelaufen, als der Hubschrauber runterkam.«
Williams wirbelte zu mir herum. »Und was zum Teufel machen Sie hier? Und was für eine geheime Operation führt O’Conner hier durch? Und wo zum Teufel ist er?«
»Ich sage Ihnen gerne alles, was ich weiß«, sagte ich. »Wären Sie bereit, die Waffe zu senken? Ich kann mich kaum konzentrieren, weil ich fürchte, Sie könnten versehentlich einen unschuldigen Zuschauer erschießen, der zufällig auch Zeuge ist.«
Williams blickte mich finster an. »Ich bin mir nicht so sicher, ob er wirklich nur Zeuge ist, und ich bin mir verdammt sicher, dass er keineswegs ein unschuldiger Zuschauer ist.« Doch er steckte die Waffe weg und erlaubte Waylon, die Hände herunterzunehmen. Waylon erzählte, was er gesehen hatte, als er auf den Berg kam; und als er sagte, dass er Patronenhülsen gefunden hatte, streckte Williams die Hand danach aus. »Hier. Geben Sie sie mir.«
»Ich hab sie nicht mehr. Ich hab sie dem Doc gegeben.«
Williams wandte sich mir zu, immer noch mit ausgestreckter Hand. »Sicher«, sagte ich. »Warum unterhalten Sie sich nicht zuerst zu Ende mit Waylon, und dann können wir beide das alles unter vier Augen besprechen.«
Nach einigen weiteren Fragen erlaubte der Deputy Waylon zu gehen. »Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, die Stadt zu verlassen«, warnte er Waylon, als dieser in seinen Pick-up stieg. Waylon nickte und fuhr davon. Und ich seufzte erleichtert auf.
Ich gab Williams meinen Bericht über die Vorfälle, wobei ich mit meiner Besichtigung von O’Conners gut getarnter Ginseng-Farm anfing und mit dem Hubschrauberabsturz endete. »Waylon hat sein Möglichstes getan, um den Schützen zu fangen«, sagte ich. »Diese Patronenhülsen könnten wichtig sein. Es könnte sich auch als nützlich erweisen, einige Fotos oder Abgüsse von den Fußabdrücken zu machen.« Williams sah mich nachdenklich an. »Hier sind die Patronenhülsen.« Ich holte das verknotete Taschentuch aus meiner Hemdtasche. Er wollte danach greifen, aber ich zog es zurück. »Deputy, würde es Ihnen etwas ausmachen, mir diese Quittung zu unterzeichnen?« Ich zog meine handschriftliche Notiz heraus: »In Empfang genommen von Dr. Bill Brockton: Fünf Patronenhülsen aus Messing in rotem Taschentuch, eingesammelt auf einem Bergkamm oberhalb des Schauplatzes, an dem Orbin Kitchings ermordet wurde.«
Williams reagierte, als hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt. »Glauben Sie wirklich, ich würde vergessen, dass ich Patronenhülsen von der Waffe habe, mit der Orbin Kitchings ermordet wurde? Denken Sie wirklich, ich würde dieses verlauste Taschentuch in die Waschmaschine stecken oder in den Mülleimer werfen?«
»Nein, keineswegs«, sagte ich. »Aber wenn ein Beamter ermordet wird, ist das immer eine ernste Sache, und hier geht es um den Bruder des Sheriffs. Ein aggressiver Verteidiger könnte den Wert dieser Patronenhülsen
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