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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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einfach an, statt ihn zu klauen?«
    »Dafür gibt es gleich mehrere gute Gründe. Erstens ist Ginseng verdammt empfindlich. Ich versuche es schon gut zehn Jahre mit dem Anbau, mit Unterstützung einiger sehr guter Pflanzenkenner, und jetzt allmählich habe ich den Dreh raus. Zweitens ist es nicht wie bei Marihuana, bei dem man in einer einzigen Wachstumsperiode einen riesigen Profit rausschlagen kann. Ginseng muss man mindestens vier Jahre im Boden lassen, bevor man ihn ernten kann, und in der Zeit erzielt man daraus keinen einzigen Cent. Der Hauptgrund ist jedoch das Preisgefälle.«
    O’Conner langte in eine tiefe Seitentasche seiner grauen Cargohose, holte eine Wurzel heraus und reichte sie mir. »Ginseng, nehme ich an?« Er nickte. Die Wurzel hatte vier Verzweigungen, die in Lage und Proportionen auffällig Armen und Beinen des Menschen entsprachen. Sie sah buchstäblich aus wie ein Strichmännchen.
    »Man sieht leicht, warum sowohl Chinesen als auch Indianer ihn ›Menschenwurzel‹ genannt haben, was?«
    »Ja, allerdings. Fehlt nur der Kopf.«
    »Sehen Sie sich die Struktur an.« Ich betrachtete die Wurzel genauer; sie war glatt und fleischig, ähnlich einer Möhre oder Süßkartoffel. »Die stammt aus Wisconsin, wo der größte Teil des kultivierten Ginsengs für den Export nach China angebaut wird.«
    »Wisconsin? Der ›Iss Käse oder stirb‹-Staat?«
    Er lachte. »Diese Wurzel aus Wisconsin wiegt ungefähr hundert Gramm und ist rund fünf Dollar wert.« Er angelte in einer anderen Tasche und reichte mir eine zweite Wurzel. Diese war schlanker, dunkler und knubbeliger und vom Hals bis zu den Spitzen der vier Verästelungen liefen rundherum Ringe oder Einschnürungen. »Das ist wilder schwarzer Sang. Den hat Waylon ausgegraben; wo, wollen wir wahrscheinlich gar nicht so genau wissen.«
    Ich wog ihn in der Hand. Er war etwa genauso schwer wie der andere, vielleicht ein paar Gramm leichter.
    »Für den bekommen Sie zweihundert Dollar«, sagte er. Ich schaute von einer Wurzel zur anderen und versuchte dahinterzukommen, wieso die eine vierzig Mal mehr wert sein konnte als die andere. O’Conner nahm sie wieder an sich. »Wilder Ginseng ist potenter, zumindest wird er von den Leuten, die ihn kaufen, so empfunden.«
    »Ah, die Hexerei des freien Markts«, sagte ich.
    Er nickte. »Man braucht kein Wirtschaftsstudium, um sich auszurechnen, dass es einen verdammt guten Profit für null Investition gibt, diese Wurzel in der Wildnis auszugraben. Natürlich zählen die Ginseng-Wilderer nicht die Umweltschäden, die gelegentlichen Geldstrafen und den einen oder anderen Mord.«
    Ich zeigte auf die kultivierte Wurzel. »Aber Sie haben einen Weg gefunden, mit denen zu fünf Dollar das Stück reich zu werden?«
    O’Conner bückte sich und zog eine seiner eigenen Pflanzen heraus. Er wischte die Erde ab, eine seltsame Mischung aus dunklem Lehm, weißen Styroporkügelchen und schleimiger Schmiere. »Hydrophiles Gel«, sagte er und wischte zuerst die Wurzel ab und dann die Hände an seinen Hosenbeinen. »Schleimig wie Rotz, aber es reduziert meine Bewässerungskosten um dreißig Prozent.« Er reichte mir die Wurzel. Sie war knubbelig und voller Einkerbungen.
    Ich blinzelte verdutzt. »Wie … Sie verpflanzen wilde Setzlinge?« Er lachte und schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht«, sagte ich. »Sie bauen das hier an?« Er nickte. »Aber das sieht aus wie wilder Ginseng.«
    »Bingo. Ich kultiviere hier keinen Ginseng für zwanzig Dollar das Pfund, Doc; ich baue wilden Sang für tausend Dollar das Pfund an. Wenn es wie wilder Sang aussieht und wie wilder Sang wirkt, dann verkaufe ich es auch als wilden Sang.«
    Wenn die ganzen zehn Morgen so echt aussahen, dann war sein Plan an Verwegenheit und Scharfsinn nicht zu übertreffen. »Wie kommt es, dass Sie solche Wurzeln anbauen können und die Käseköpfe oben in Wisconsin nicht?«
    »Ich würde es Ihnen ja erzählen, Doc, aber danach müsste ich Sie umbringen.« Als er meinen Blick sah, schnaubte er und klopfte mir beruhigend auf die Schulter. »Wie gesagt, ich hatte Hilfe von einigen großartigen Botanikern. Wir haben einen Weg gefunden, den Pflanzen während der Wachstumsperiode in regelmäßigen Abständen einen chemischen und thermischen Schock zu versetzen – nicht so stark, um ihnen wirklich zu schaden, aber gerade genug, dass sie diese Einschnürungen ausbilden. Das ist, als würde man neues Holz bleichen und mit grobem Schrot beschießen, damit es wie

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