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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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der Pfanne. Ich betastete ihn vorsichtig; er war dünn und hart, mit klar abgegrenzten Kanten unter den unregelmäßigen Fettschichten. Miranda hielt einen kleinen Druckverschlussbeutel auf; nachdem ich das Objekt hineingetan hatte, etikettierte sie es mit Fallnummer, Datum und der Bezeichnung »Halskette/Anhänger«. Während sie schrieb, ließ ich einen Regen heißen Wassers über die Schlüsselbeine der toten Frau rieseln.
    Sie ließen sich fast ohne Mühe freilegen. Ihre äußeren Enden, wo sie auf die Oberarme und Schulterblätter stießen und mit diesen die Schultern bildeten, verschmolzen nahtlos mit den Knochenschäften. Zur Mitte hin jedoch – wo sie am oberen Ende des Brustkorbs mit dem Brustbein verbunden waren – waren sie mit den Schäften durch eine schmale Zone Gewebe verbunden, das noch nicht ganz verknöchert war.
    »Dann ist ihr Skelett noch nicht voll ausgewachsen«, sagte Miranda. »Sie ist kein Kind mehr, aber sie ist auch noch keine richtige Frau.«
    »Genau wie Sie«, sagte ich. Sie stieß mir einen Ellenbogen fest in die Rippen. »Autsch! Skelettmäßig, mehr wollte ich damit nicht sagen. Unter fünfundzwanzig. Das sind Sie doch, oder?« Ich wusste, dass sie noch keine fünfundzwanzig war, wenn auch nur noch wenige Monate. Ich hatte nicht viele andere Studenten, die mich so herauszufordern oder zu hänseln wagten, und niemand verpasste mir gelegentlich einen Rippenstoß. Miranda jedoch fand nichts dabei, sich mit mir in die Haare zu geraten, und mir gefielen das Vertrauen und die Ungezwungenheit, die darin lagen. Sie war längst immun gegen die Lesben- und Hurenwitze über ihren Nachnamen – Lovelady – und hatte zahllose Polizisten abgewiesen, die sie gebeten hatten, ihnen Handschellen anzulegen und ihnen die so genannten Miranda-Hinweise vorzulesen und sie über ihre Rechte aufzuklären. Sie war klug, stark, robust und witzig, und sie nahm sich nicht allzu ernst. Doch sie war jung genug, um meine Tochter zu sein; noch dazu war sie meine Studentin.
    Ich erhöhte den Wasserdruck etwas. Als die Adipocire und das interkostale Knorpelgewebe wegtropften, tauchte wie ein uraltes Schiffswrack, das vom sandigen Meeresgrund geborgen wird, der Brustkorb auf. Rippe für Rippe nahm ich das Wrack auseinander, löste jeden einzelnen Knochen vom Brustbein und von dem Wirbel, mit dem er im Rücken verbunden war. Ich reichte die Knochen Miranda, die sie unterhalb des Schädels in ihrer korrekten anatomischen Position auf den Tisch legte. In dem Maße, wie der in Adipocire gekleidete Körper von der Fahrtrage verschwand, nahm auf der nahen Arbeitsfläche allmählich ein Skelett Gestalt an.
    Als ich die ersten sieben Rippenpaare von oben gelöst hatte, reichte ich Miranda das Brustbein. Sie schnappte nach Luft, und ich schaute auf. »Was ist?«
    »Sehen Sie sich das an.« Sie zeigte auf ein hübsches rundes Loch mitten am unteren Ende des Knochens. »Wurde sie auch noch erschossen?«
    Ich studierte das Loch. »Nun, es sieht ganz so aus, oder?« Sie sah mich scharf an, denn sie spürte, dass das irgendein Trick war.
    Sie besah sich das Brustbein genauer, zuerst von vorne, dann von hinten. Ich konnte förmlich sehen, wie sie ihre Datenbanken danach durchforstete, ob das, was sie vor sich hatte, mit etwas, was sie in meinem Handbuch der Knochenkunde – meiner Bibel der Osteologie – gesehen oder gelesen hatte, übereinstimmte. Es war darin zu finden – eine Zeichnung auf Seite 117 oben –, aber ich gab ihr keine weiteren Hinweise. »Nun, es hat in etwa die richtige Größe für ein kleinkalibriges Projektil, vielleicht zweiundzwanzig«, murmelte sie, klang jedoch zweifelnd. Sie starrte vorwurfsvoll auf den Knochen, als ob er sich irgendetwas zu Schulden hätte kommen lassen. »Aber es gibt einiges, was nicht dazu passt.«
    »Was zum Beispiel?«
    »Zum einen scheint es ein zu großer Zufall zu sein, dass ein Schuss genau in die Mitte trifft.« Ich hielt den Mund. »Zum anderen ist das Loch vorne und hinten angeschrägt, und Schusswunden öffnen sich weit in die Richtung, in die die Kugel geflogen ist.«
    »Richtig«, sagte ich. »Wenn die Kugel den Knochen durchstößt, breiten sich die Kopfwellen trichterförmig aus und sorgen beim Austreten für ein größeres Loch. Sehen Sie sich die trichterförmigen Löcher an, die ein Luftgewehr in Fensterscheiben macht, außen winzig, aber innen riesig.«
    »So spricht der Junge, der ein Luftgewehr besaß«, sagte sie.
    »Hey, man hört so das ein oder andere«,

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