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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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gestiegen. In allen drei Fällen jedoch waren sowohl Mutter als auch Fötus bereits skelettiert gewesen, als wir sie fanden. Hier dagegen waren die Überreste des Babys verborgen in einem unversehrten Körper – bis ich mich daranmachte, sie freizulegen. Ein wenig schämte ich mich für meine Zudringlichkeit, und dann wurde ich mit einem stechenden Schmerz daran erinnert, was für ein riskantes Unternehmen das Leben sein konnte: ein Rennen, in dem manche Menschen es nicht mal aus der Startmaschine schafften.
    Ich schaute zu Miranda auf. Tränen liefen ihr über die Wangen und sickerten in ihre Maske. Ich berührte sie am Arm. »Vielleicht sollten Sie eine Pause machen«, schlug ich vor. Sie zuckte zurück und schüttelte den Kopf, und ich sah Zorn unter ihren Tränen aufblitzen. Zorn auf denjenigen, der diese beiden Leben ausgelöscht hatte. »Gut dann, danke, ich kann die Hilfe brauchen. Legen wir die Knochen neben den Körper der Mutter in anatomischer Anordnung, Kopf nach unten.« Sie nickte und machte sich mit grimmiger Miene daran, das winzige Skelett zusammenzulegen, dessen Knochenstückchen ich ihr reichte.
    Sechs Stunden, nachdem wir angefangen hatten, waren wir fertig. Die wächserne Mumie, die wir hergebracht hatten, war jetzt ein Skelett. Immer noch ein wenig fettig und stinkend, aber nur noch das schwindende Echo einer starken jungen Frau. Und neben ihr das schwindende Flüstern eines Babys, das nie Luft geholt hatte.
    Was wir über sie wussten, war – wie die Exemplare auf dem Arbeitstisch – knochendürr: Wir wussten, dass es eine junge weiße Frau von ungewöhnlicher Körpergröße war. Wir wussten, dass sie schwanger gewesen war und dass sie in der Mitte der Schwangerschaft, als womöglich erste Anzeichen davon sichtbar wurden, ermordet worden war – erwürgt, ohne andere Zeichen von Verletzungen, zumindest keine sichtbaren. Wir kannten immer noch nicht ihren Namen, doch die Untersuchung hatte uns Dinge verraten, die uns auf der Suche nach ihrem Namen helfen würden. Die Echos und das Flüstern dieser Knochen halfen uns vielleicht zu verstehen, warum sie ermordet worden war … und wenn wir achtsam genug hinhörten, dann deuteten sie womöglich sogar an, wessen Hände sich um ihre Kehle gelegt und so gnadenlos zugedrückt hatten.
    Ich schaute Miranda an. Ihr Gesicht war abgespannt; ihre Augen, die getanzt und geschimmert hatten, als sie mir triumphierend die Röntgenaufnahmen brachte, waren jetzt erschöpft und freudlos.
    »Ich weiß«, sagte ich. »Das ist hart.«
    Sie nickte.
    »Und, Miranda?« Ich wartete, bis sie mir in die Augen schaute. »Wir behalten das hier vorerst besser für uns.«

8
    Art Bohanan klebte an seinem Mikroskop. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und war kreuzunglücklich.
    Das Fingerabdrucklabor befand sich im Keller des Polizeireviers von Knoxville – einer grimmigen, beigefarbenen Festung in einem grimmigen, schmutzigen Teil der Stadt, umgeben von sehr viel Asphalt und Sozialwohnungen. Der uniformierte Beamte, der an der Tür Wache tat, hatte mich mit dem Summer in den Aufzug gelassen und auf den Boden gezeigt. »Er ist da unten. Wie immer.«
    Sobald ich das Labor im Keller betrat, stach mir der scharfe Geruch von Sekundenkleber in die Nase. Art schaute auf, als ich eintrat. »Hey, kannst du mir hier mal zur Hand gehen? Tu ein bisschen was von dem Azeton auf meine Finger, ja?« Sein linker Daumen und Zeigefinger klebten an der Zentrierschraube eines Stereomikroskops, die rechte Hand am Okulartubus. Auf dem Arbeitstresen lag eine offene Tube Sekundenkleber.
    »Du klebst wirklich fest?«
    »Die letzten zehn Male, als ich versucht habe loszukommen, schon. Willst du es selbst mal versuchen, oder hilfst du mir jetzt?«
    »Halt mal … ähm, ach nein, das tust du ja schon«, neckte ich ihn. »Kennst du ›Verstehen Sie Spaß‹? Hast du hier irgendwo ’ne versteckte Kamera?«
    »Na, super, jetzt soll ich dir auch noch helfen, mich auf ewig zu demütigen? Danke.«
    »Nicht der Rede wert.«
    »Komm schon, Bill, die Lampe ist heiß. Jetzt mach, mir ist nicht nach Witzen.«
    Ich nahm eine kleine Dose Azeton und tropfte ein wenig davon über die Ränder von Arts Fingern, wobei ich mit denen anfing, die an dem Metallgehäuse der Lichtquelle klebten. »Wie ist denn der Flammpunkt von Azeton? Und wie hoch ist die Temperatur der Lampe da?« Das Lösungsmittel sickerte ein, und Arts Finger lösten sich allmählich. Die straffe Haut war rot entzündet. Er rieb sich die Finger mit einem

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