Anatomie
Kumpel.« Er warf mir einen finsteren Blick zu.
»Schau, Art, ich finde es zum Kotzen, was er macht, und wie er es macht, widert mich genauso an wie dich. Die meiste Zeit. Wenn er einem Kinderschänder hilft, wird er eines Tages dafür bezahlen. Doch der Fall mit der Stichwunde, zu dem er mich hinzugezogen hat, liegt anders. Der Medical Examiner hat die Sache schlicht und ergreifend versaut, und die Staatsanwaltschaft deckt ihn. Und wenn du das nicht weißt, bist du längst nicht so klug, wie ich immer gedacht habe.« Ich sah ihn wütend an, aufgebracht, dass er fand, ich sei nun kein Haar besser als DeVriess.
Er erwiderte meinen Blick wütend, dann wandte er sich ab und seufzte. »Ich weiß. Du hast recht. Ich verstehe, was du tust. Ich respektiere es. Ich respektiere dich – zum Teufel, das weißt du. Aber dieses kleine Mädchen … das reißt mich in Stücke. Der Hurensohn hat uns so lange daran gehindert, dieses Auto einzupudern, bis die Fingerabdrücke des Kindes verschwunden waren, und dafür würde ich ihn am liebsten eigenhändig umbringen.«
»Da mache ich dir keine Vorwürfe.«
»Tut mir leid, dass ich dich angefahren habe.«
»Vergiss es.«
Er atmete tief ein und schloss die Augen, dann stieß er die Luft geräuschlos aus. Wie aus einem anderen Leben ging mir die Formulierung »tiefer reinigender Atemzug« durch den Kopf, ungebeten und unwillkommen. Art rieb sich seine rauen Fingerspitzen. »Nun, Bill, was bringt dich her, abgesehen von dem Vergnügen eines Gesprächs mit mir?«
Ich langte in meine Jackentasche, holte einen Druckverschlussbeutel heraus und reichte ihn ihm. »Das hier.«
»In welchem Zusammenhang?«
»Es hing um den Hals einer Leiche. Ist es das, was ich vermute?«
Er drückte den Umriss sanft in alle Richtungen, Schmalseite, Längsseite, dünner Rand. »Wahrscheinlich. War er Veteran?«
»Kein Er. Eine Sie. Und nein, ich glaube nicht.«
»Wieso hat sie dann eine Erkennungsmarke der Armee getragen?«
»Das frage ich mich eben.«
»Und wem gehört sie?«
»Das auch.«
»Und du hast sie zu mir gebracht, weil du sie nicht lesen kannst?«
»Genau. Und weil ich hoffe, dass unter dem Schmodder irgendwo ein Fingerabdruck ist.«
»Schmodder – ist das so ein anthropologischer Terminus technicus, mit denen ihr Doktoren der Philosophie um euch schmeißt, um uns Fußvolk einzuschüchtern?« Ich nickte. Art betastete die Erkennungsmarke und runzelte die Stirn. »Ein Fingerabdruck. Himmel – viel verlangst du ja nicht, was?«
»Wo liegt das Problem?«
»Nun, erstens müssen wir herausfinden, wie wir den Schmodder entfernen, ohne den Fingerabdruck gleich mit zu entfernen. Falls darunter ein Fingerabdruck ist. Was ich sehr bezweifle.«
»Wieso?«
»Das Metall kann korrodiert oder oxidiert sein, obwohl diese Hundemarken ja angeblich korrosionsbeständig sind. Wenn das Metall korrodiert ist, hat es sowohl chemische als auch physikalische Veränderungen durchgemacht, die einen Fingerabdruck zerstören oder verzerren können. Und wenn es nicht korrodiert ist, hat der Schmodder – die Adipocire, wie wir niederen Kriminalisten dazu sagen – Fingerabdrücke, die womöglich vor langer Zeit mal darauf waren, absorbiert oder verschmiert.«
Ich nickte finster. »Das heißt …«
»… es besteht nicht die geringste Chance.« Ich hatte erwartet, dass er so etwas sagen würde – er war schließlich Kriminalist und kein Zauberer –, aber als es dann tatsächlich aus seinem Mund kam, merkte ich, dass ich mir doch Hoffnungen gemacht hatte. »Lass uns trotzdem mal schauen, was wir da haben.«
Er legte die Tüte auf einen Labortisch und streifte ein Paar Latexhandschuhe über, zog dann den Druckverschluss an der Tüte auf und holte die wächserne Erkennungsmarke heraus. Nachdem er sie eine Weile eingehend betrachtet hatte, beugte er sich über ein Tablett mit Werkzeug, wählte eine Zange aus, kramte unter einem Arbeitstisch herum und holte einen kleinen Bunsenbrenner hervor – so ein Ding, mit dem ein Küchenchef den Zucker auf einer Crème brûlée karamellisiert. Er hielt die Marke am leicht gebogenen Ende – wo einst die Kette durchgefädelt worden war – und fuhr mit dem Brenner sanft über die Adipocire. Sobald diese zu schmelzen begann, legte sich Verwesungsgeruch über die ätzenden Dünste des Sekundenklebers. »Verdammt, Bill, du hättest mich auch warnen können. Schalt doch bitte mal den Ventilator ein, ja?«
Ich griff nach dem Schalter, auf den er mit einem Nicken wies,
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