Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
Vom Netzwerk:
recht. Ich war blind und unbedacht gewesen. »Oh, Miranda. Hören Sie mir zu. Sie haben bereits das Beste von mir, verstehen Sie das nicht? Wenn wir versuchten, mehr zu haben, stünden wir am Ende mit leeren Händen da.«
    Sie hob den Kopf und starrte mich mit gequältem Blick an. »Das können Sie nicht wissen. Warum sagen Sie das?«
    »Miranda, ich liebe es, mit Ihnen zu arbeiten. Unsere Zusammenarbeit ist absolut der beste Teil meiner Arbeit, und meine Arbeit ist im Augenblick der einzig erträgliche Teil meines Lebens. Wenn wir zusammen im Labor sind, fühle ich mich nicht dreißig Jahre älter als Sie. Ich fühle mich jung und klug und mit einem Menschen verbunden, den ich mag und sehr bewundere. Aber wenn wir auf andere Art zusammen wären – in einer Beziehung, im Bett –, würde der Altersunterschied uns treffen wie eine Tonne Ziegelsteine. Früher oder später würde ich Ihnen leidtun, und dann würden Sie sich fühlen wie in einer Falle, und dann würden Sie anfangen, mich zu verachten. Und das würde mich umbringen. Es würde mich absolut umbringen.«
    Ihre Züge wurden ein wenig weicher. »Oh, Mist, wie könnte ich Sie je verachten? Ich verehre den Boden, über den Sie gehen.«
    »Na. In letzter Zeit aber nicht.«
    »Seien Sie nicht albern. Natürlich tue ich das. Ich bin nur … so … wütend auf Sie, weil Sie mit … mit so einem Kind rummachen!«
    »Vorübergehende Geistesverwirrung. Ich hab’s kapiert. Ein nicht zu wiederholender Fehler. Sie ist schließlich ganze fünf Jahre jünger als Sie. Aber nur für die Akten: Vor den Augen des Gesetzes ist sie, glaube ich, erwachsen.« Ein tiefes Knurren stieg aus Mirandas Kehle auf, was ich als gutes Zeichen betrachtete, denn für eine Selbstmordkandidatin war es eindeutig zu lebhaft. »Und für eine Studienanfängerin ist sie ziemlich klug.« Das Knurren wurde einige Dezibel lauter. »Und tut den Augen wohl …« Ein Ellenbogen – ihr linker – schoss hervor und stieß mir in die Rippen. »Au. Natürlich ist sie nicht so klug und bezaubernd wie Sie, aber wer ist das schon?«
    »Verdammt, warum können Sie mich nicht einfach wütend sein lassen?«
    »Nun, dem Arm nach zu urteilen ist es Ihrer Gesundheit nicht besonders zuträglich.«
    »Ach, das. Das war ich absichtlich. Damit ich eine Betriebsunfallentschädigung einklagen kann. Ich bin es satt, Ihre Mazerations-Sklavin zu sein.«
    »Na, kommen Sie schon, gehen wir rüber zur studentischen Krankenstation und lassen die Elle richten.«
    »Okay. Nein, warten Sie. Zuerst möchte ich Ihnen etwas an diesen Rippen zeigen.« Ich half ihr, von den Stufen aufzustehen, sammelte ihre Sachen ein und hielt ihr die Tür auf, schließlich war sie verletzt und überhaupt. Im Labor ging sie schnurgerade zu dem Tablett mit den Knochen und nahm mit der linken Hand eine Rippe. »Sehen Sie sich das an«, sagte sie und zeigte mit dem Zeigefinger auf etwas. »Aua!« Sie legte den gebogenen, elfenbeinfarbenen Knochen vorsichtig zurück auf den Arbeitstresen und zeigte mit der linken Hand darauf. Es war leicht zu sehen, was sie so spannend fand.
    Der Knochen – der Größe nach zu urteilen die siebte oder achte Rippe – war ein ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter langer kommaförmiger Bogen. Der Bogen war asymmetrisch, was jedoch völlig normal war: Nahe der Wirbelsäule waren die Rippen spitz, doch in Richtung Brustbein wurde die Kurve flacher. Zudem war die Kurve seitlich leicht verzerrt, sodass die Knochen nicht flach auf dem Tisch oder Untersuchungsplatz liegen blieben. Bei all den verschiedenen Kurven hatten Studierende manchmal Probleme, wo bei einer einzelnen Rippe oben und wo unten war, bis sie lernten, sich den Querschnitt anzusehen. Im Querschnitt war eine Rippe geformt wie eine umgekehrte Träne; mit anderen Worten, der abgerundete Teil war oben. Der untere, spitzere Teil war ein wenig schief – die Innenseite war konkav geformt, um Platz für Arterie, Vene und Nervenbahn zu schaffen, die unter jeder Rippe verliefen. Die Architektur und Mechanik des menschlichen Körpers erstaunte mich immer wieder aufs Neue.
    Was Miranda so aufregend fand, dass sie darüber ihren gebrochenen Arm vergaß, war ein Bereich etwa in der Mitte der Rippe. Dort umgab ein Ring aus dickerem Knochenmaterial, gut einen Zentimeter breit und drei Millimeter dick an der Mittellinie, die Rippe. Mehrere andere Rippen auf dem Tablett wiesen ähnliche Merkmale auf. »Kürzlich gebrochen«, sagte sie stolz. »Aber schon dabei zu verheilen.

Weitere Kostenlose Bücher