Anatomie
mit dir. Ich scheiß auf dein rotznasiges krankes Kind oder deine verkrüppelte Großmutter und auf sämtliche andere Geschichten, die du mir auftischst. Und du kannst flennen, so viel du willst, das geht mir am Arsch vorbei. Haben wir uns verstanden?« Ich sah, dass Vernon leicht nickte. »Ich kann dich nicht hören. Haben wir uns verstanden?«
»Ja.«
»Gut. Wenn ich in zwei Wochen wiederkomme, dann solltest du die Ernte eingefahren haben und tausend Dollar für mich bereithalten, sonst …«
»Ich … ich habe dir doch gerade zweihundert gegeben, Orbin. Damit schulde ich dir das nächste Mal achthundert.«
»Halt’s Maul, verdammt. Das sind die Zinsen. Tausend Dollar, und sei dankbar, dass ich dich nicht bei der DEA verpfeife oder dein Feld eigenhändig abfackle.«
Ich hörte Waylon neben mir tief und wütend Luft holen und dann langsam durch den Mund wieder ausatmen. Sein warmer, nach Tabak duftender Atem wehte mir direkt ins Gesicht. Mit einem Gefühl drohenden Verhängnisses biss ich feste die Zähne zusammen, doch diesmal gab’s kein Halten mehr, und ich übergab mich. Hoch kam das Brathähnchen, das ich bei hundertzwanzig Stundenkilometern verdrückt hatte, unmittelbar gefolgt von Kartoffelbrei, Brötchen und Bratensoße. Duke riss sich aus Waylons Griff los und machte sich daran, mein Mittagessen aufzuschlecken. Während ich noch würgte und hustete, schoss Orbins Kopf in unsere Richtung. »Was zum Teufel ist denn das?«, wollte er wissen. »Vernon, hockt da drüben jemand, um mich aus dem Hinterhalt zu überfallen?« Waylon schlug mir die Hand vor den Mund, und Vernon leugnete verzweifelt kreischend. Doch Orbin glaubte ihm nicht. »Ich schwöre, ich erschieße euch beide, du Dreckskerl.« Ich hörte wütende Schritte auf uns zukommen.
»Warte!«, schrie Vernon. »Das ist nur mein Hund. Er hat heute Morgen einen toten Waschbären gefressen – und jetzt kotzt er schon den ganzen Tag. Duke, komm her, Junge. Duke! Hierher!« Waylon zerrte den Hund von meinem ausgespuckten Essen weg und schob ihn von uns weg. Duke stolperte aus dem Unterholz und trottete auf die Lichtung. »Da bist du ja, Duke.« Vernon klang schon nicht mehr ganz so verängstigt. »Ist dir immer noch schlecht, Kumpel? Ich hoffe, das war dir eine Lektion, keine überfahrenen Tiere mehr zu fressen.«
Ich hockte hinter der umgestürzten Kiefer und hörte Orbin schreien: »Hey! Aus, du blöder Köter! Aus, verdammt!«
»Ach, der tut dir nichts«, sagte Vern. »Der will nur …«
»Aus!« Ich hörte einen dumpfen Aufschlag, das Geräusch eines Stiefels, der auf Fleisch und Knochen trifft. Ein schmerzliches, verdutztes Jaulen zerriss die Luft. Ich linste über den Baumstamm.
»Verdammt, Orbin Kitchings, du hast keinen Grund, meinen Hund zu treten.«
Ich sah, dass der Deputy noch einmal ausholte, und diesmal haute sein Schlag Vernon um. Und dann war es, als würde tief im Innern des Hundehirns – da, wo der Instinkt saß – ein Schalter umgelegt. Der freundliche, ein wenig dämliche Hund fing an zu knurren und die Zähne zu fletschen, stürzte sich auf den Deputy und schnappte nach ihm. Orbin trat wie wild aus, was der Hund mit blitzenden Zähnen quittierte. Dann wurde der große Hund plötzlich nach hinten geschleudert, drehte sich mitten in der Luft, und das Krachen eines Schusses traf unsere Ohren. Duke fiel zu Boden, und nach einem schockierten Augenblick der Stille kroch Vernon zu ihm hinüber und warf sich schluchzend auf das Tier. Der Deputy stand über ihm, die Waffe jetzt auf Vernons Kopf gerichtet.
Ich spürte, dass Waylon sich regte, dass er aufstehen wollte. Sein Gesicht war violett vor Zorn. Ich packte ihn am Arm, doch er schüttelte mich ab, stand tatsächlich auf und holte eine Pistole aus seiner Tarnhose. Ich rappelte mich hoch und zischte ihm ins Ohr: »Nicht, Waylon. Er erschießt Vernon. Und dann erschießt er uns.«
Waylon richtete einen tödlichen Blick auf mich. »Er muss sterben«, murmelte er. »Ich werde diesem gemeinen, widerlichen Schwanzlutscher das Licht auspusten.«
»Das können Sie nicht!«
»Na, dann passen Sie mal auf, Doc.«
»Warten Sie«, flüsterte ich. »Wollen Sie, dass Vernon stirbt? Selbst wenn Sie ihn von hier aus treffen, können Sie nicht sicher sein, dass er nicht noch abdrückt.«
Waylon biss die Zähne zusammen und blickte wütend von mir zum Deputy und wieder zurück. Dann hockte er sich wieder hin, stützte die Pistole auf dem umgestürzten Baumstamm ab und zielte sorgfältig auf
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