Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
Vom Netzwerk:
Orbin. Er war so reglos, dass ich mir nicht mal sicher war, ob er noch atmete. Der Deputy machte einen Schritt weg von Vernon, hielt die Waffe jedoch weiterhin direkt auf den Mann am Boden gerichtet. »Du bleibst, wo du bist, und kein verdammtes Wort mehr, Vernon. Wenn ich in zwei Wochen wiederkomme, hast du tausend Dollar für mich, oder ich knall auch dich ab wie einen Hund.« Er zog sich zurück, kletterte in den Hubschrauber, die Waffe immer noch aus der offenen Tür gerichtet. Erst als der Motor auf Touren gekommen war, zog er die Waffe zurück und knallte die Tür zu. Sekunden später war er verschwunden, einen Wirbel aus trockenem Laub und frischer Trauer hinter sich zurücklassend.

28
    O’Conner schenkte Waylon noch einen Whiskey ein – seinen Dritten, wenn ich recht gezählt hatte, und ich hatte gut aufgepasst, Waylon musste mich schließlich noch zurück zu meinem Wagen fahren. »Ich weiß, dass du ihn gerne umbringen würdest«, sagte O’Conner zum hundertsten Mal, »aber das nützt nichts. Es zerstört dein Leben, und Verns obendrein.« Waylon schniefte nur und schüttelte seinen riesigen Kopf.
    »Wie wird ein Mann nur zu so etwas«, fragte ich O’Conner, »das im Innern aus nichts anderem besteht als aus Gemeinheit und Hass?«
    O’Conner zuckte die Achseln, als hätte er keine Ahnung, doch ich war mir ziemlich sicher, dass das nicht stimmte, also wartete ich einfach ab. Schließlich sprach er. »Nun, Cooke County allein – das ärmliche Leben, wo ein Mann entweder das Gesetz brechen muss, um zurechtzukommen, oder sich selbst das Kreuz – reicht schon aus, jemanden hart zu machen«, sagte er. »Zumindest, wenn er anfällig ist.«
    »Aber das da geht doch weit über ›hart‹ hinaus«, wandte ich ein.
    »Nun, dann ist da die Familie Kitchings selbst – quasi das Cooke County der Familien.«
    »Wie das?«
    »Nun, Sie hatten noch nicht das Vergnügen, die Matriarchin und den Patriarchen kennen zu lernen«, sagte er, »aber die sind ungefähr so warm und gefühlvoll wie diese Mokassinschlangen auf dem Weg zu Vern. Eine Mokassinschlange möchte in der Regel in Ruhe gelassen werden – dann tut sie einem nichts –, aber wenn man sie provoziert, dann bekommt man eine hübsche Portion Gift ab.«
    »Aber der Vater ist doch Pfarrer, oder?«
    »Ja, aber Sie dürfen nicht vergessen, was für einer Art von Kirche er angehört. Die Primitive Baptists – man nennt sie bei uns auch ›eiserne Baptisten‹ – sind meiner Erfahrung nach ungefähr so hartherzig, wie Christen nur sein können. Die stehen auf ›im Blut des Lammes gewaschen‹ und ›Feuer und Schwefel‹ und sind nicht besonders scharf auf den knuddeligen Liebe-deinen-Nachbarn-Teil der Bibel. Die meiste Zeit verkneifen sie sich so ziemlich alles: trinken, tanzen und Karten spielen werden nicht geduldet, sie können sich nicht fürs Kino und Fernsehen begeistern und haben was gegen Frauen, die sich die Haare schneiden, Hosen tragen und Make-up auflegen. Das Witzige ist nur, dass sich dieser verklemmte Du-sollst-dies-nicht-und-du-sollst-das-nicht-Haufen am Sonntag vollkommen gehen lässt und sich in eine Art ekstatischer Schwärmerei hineinsteigert.«
    Ich nickte. Die Kulturanthropologie hatte viele Studien über religiöse Ekstase hervorgebracht; diese Spielart spiritueller Erfahrung ging praktisch quer durch alle Nationen und Kulturen, einschließlich äußerst konservativer Gruppierungen. Selbst die Anhänger der Pfingstbewegung, die mit Schlangen hantierten und in fremden Zungen redeten – Praktiken am anderen Ende des christlichen Spektrums –, kannten tranceähnliche Zustände.
    »In meiner Jugend habe ich Reverend Kitchings ein paarmal predigen hören«, fuhr O’Conner fort, »damals, als ich Leena den Hof gemacht und versucht habe, einen guten Eindruck auf die Familie zu machen. Ich saß in dem kalten Steingebäude und konnte mich nur über die Verwandlung wundern, die der schmallippige, verklemmte Puritaner durchmachte, wenn er mal richtig in Fahrt kam. Er geriet in einen fast hypnotischen Predigtrhythmus; das war eher eine Inkarnation als eine Predigt. Statt mit einem Punkt beendete er jeden Satz mit einem ›Lobpreiset den Herrn!‹ oder einem ›Halleluja!‹. Hat weitergemacht, bis er außer Atem geriet, dann folgte ein letztes, fast quakendes Keuchen, er holte wieder mächtig Luft und zog erneut vom Leder. Ich glaube, das macht er heute immer noch so. Sie sollten sich ihn mal anhören; ich wette, Sie fänden es

Weitere Kostenlose Bücher