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Anatomien

Anatomien

Titel: Anatomien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Aldersey-Williams
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der berühmten Szene inspiriert, in der Hamlet auf dem Friedhof den Schädel des früheren königlichen Narren aufhebt und ihn mit den Worten anredet: „Ach, armer Yorick!“
    Shakespeare stößt weiter als seine Zeitgenossen in diese neue Sprachwelt vor. Er kennt sich in der Medizin aus und erwähnt die meisten zu seiner Zeit bekannten Krankheiten und Heilmittel. Durch körperliche Bilder will er uns in das dramatische Geschehen hineinziehen, uns anregen, die Figuren ernst zu nehmen. Darin unterscheidet er sich von zeitgenössischen Autoren wie Christopher Marlowe, Ben Jonson und sogar dem blutrünstigen John Webster. Die neue Sprache mit ihren saftigen Metaphern konnte natürlich auch nur funktionieren, weil das Publikum Shakespeares Körperbewusstsein bereits teilte.
    Vor allem Hamlet ringt mit der Frage nach der Bedeutung menschlicher Körperlichkeit, die er Szene für Szene tiefer auslotet. Endet das körperliche Selbst an den physischen Grenzen des Körpers? Nach Hamlets Verwandlung bemerkt der neue König, sein Onkel Claudius, dass weder „der äußre noch der innre Mensch / Dem gleichet was er war“. Hamlet sagt über sich selbst: „Ich könnte in eine Nußschale eingesperrt sein und mich für einen König von unermeßlichem Gebiete halten, wenn nur meine bösen Träume nicht wären.“ Ihm fällt es schwer, die Begrenztheit seines Körpers mit der Größe seiner immer wahnsinnigeren Ideen in Übereinstimmung zu bringen. Hamlet wünscht sich: „O schmölze doch dies allzu feste Fleisch.“ Und in seinem berühmten Monolog denkt er darüber nach, wie einmal „das Herzweh und die tausend Stöße enden / Die Fleisches Erbteil sind“.
    Macbeth ist ungeheuer blutig. Blut wogt und wallt durch das Stück wie ein über die Ufer tretender Fluss. Es verlässt die Körper und verschmiert Dolche und Hände und Gesichter. Es quillt sogar über das Drama hinaus in die wirkliche Welt des Theaters und „bedroht diese blutige Bühne“, wie eine Figur verkündet. Die Hexen rühren Schweine- und Pavianblut in ihrem Kessel an. Im drittenAkt ist Macbeth so weit, dass er in Blut geradezu „watet“. Schottland ist, wie Dänemark, ein Körper: „Blute, Blute, armes Land!“, sagt Macduff. „Es weint, es blutet“, stimmt Malcolm ein.
    Fast genauso flüssig sind die Bilder, mit denen Falstaff, jener Korb voll Metzgersabfällen, drei Stücke lang zu tun hat. In Heinrich IV., Teil I tadelt der kerngesunde junge Prinz Heinrich den Dickwanst Falstaff mehrmals für seine erschreckend rastlosen Organe: Falstaff „schleppte seine Eingeweide so hurtig davon“, ist ein „vollgestopfter Kaldaunensack“, sein Leib ist „ganz mit Därmen und Gehäute vollgestopft“. Beide Figuren stehen für Dimensionen des Staatskörpers, der weich und schwabbelig ist, aber schlank und effizient sein sollte. Noch heute ist etwa von einem „aufgeblähten“ Staatshaushalt die Rede. Und in Zukunft werden wohl immer weniger wirklich fette Politiker in höchste Regierungsämter gewählt werden, selbst in Ländern, in denen die Fettleibigkeit weit verbreitet ist.
    Noch ein letztes Wort zu Shakespeares Körpern, nämlich zum „mortal coil“, dem „Knäul des Irdischen“, in der berühmtesten Rede überhaupt, Hamlets Monolog „Sein oder Nichtsein“. Was ist damit gemeint? Shakespeares eigenartige und eindrucksvolle Wendung weckt vielfältige Assoziationen. Das Wort „coil“ bezeichnete im 16.

Jahrhundert Unruhen und Aufruhr. Im Alltag meinte man damit Krach und Durcheinander. Es geht auf das französische Verb coillir zurück und bedeutet „aufstapeln“ oder „sammeln“. Während der Zeit, in der Shakespeare an seinem Hamlet arbeitete, benutzte man das Wort zum ersten Mal auch für eine geordnetere Ansammlung von Schlaufen. Das Wort passt gut zu dem chaotischen Bau der menschlichen Gedärme (die Hamlet, wie wir gesehen haben, besonders interessieren) und allgemeiner auch zu einem als Irrfahrt empfundenen Leben, das zwar einen Anfang und ein Ende besitzt, in dem aber auch viele scheinbaren Umwege eingeschlagen werden und sich manches zu wiederholen scheint. Von heute aus gesehen beschreibt es auch gut die schlaufenartige Doppelhelix der menschlichen DNA.
    Falstaffs Körper ist natürlich vor allem eines: fett. Er ist der „fette Ritter“, ein „fetter Schurke“ und mit vergnüglichem Sadismus der „verflixte Fettmensch“. Wer fett ist, so sagt Prinz Heinrich verächtlich, ist faul und zu nichts zu gebrauchen. Falstaff weist

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