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Anatomien

Anatomien

Titel: Anatomien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Aldersey-Williams
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kleinlaut darauf hin, dass Fett auch sein Gutes hat. Sind nicht die gut genährten Rinder besser als „des Pharaos magere Kühe“, fragt er. Und menschliches Fett? Gegen Ende der Lustigen Weiber von Windsor beklagt sich Falstaff über all die Gemeinheiten, die ihm seine Gegnerinnen zugefügt haben. Wenn es nach ihnen ginge, „schmölzen sie mich aus meinem Fett heraus, Tropfen für Tropfen, und schmierten Fischerstiefel mit mir“. Zu Shakespeares Zeiten entzog man den Körpern hingerichteter und sezierter Verbrecher das Fett. Man nannte es „Menschenöl“ und salbte damit bis Ende des 18.

Jahrhunderts ausgelaugte Gliedmaßen – und sicher imprägnierte auch so mancher seine Stiefel damit.
    Dass die Sache mit dem Fett gar nicht so einfach ist, wird mir klar, als ich im Boerhaave Museum vor dem ungewöhnlichen Wachsmodell eines sezierten Körpers stehe. Im frühen 19.

Jahrhundert traf der an der Universität Utrecht arbeitende, etwas morbide Anatom Petrus Koning die ungewöhnliche Entscheidung, als Ersatz für echte Leichen statt der aus Italien bekannten idealisierten lieber realistische Wachsmodelle für den medizinischen Unterricht zu verwenden. Den talentierten Herstellern ging es zwar um eine realistische Darstellung, aber meistens besserten sie hier und da doch etwas aus oder deuteten sogar Körperteile allegorisch. Die Modelle sind bis heute schöner und bewegender als die neueren bunten Plastikmodelle. Zu Konings Neuerungen gehörte, dass er auch die gelben Fettschichten darstellte, die die anderen Künstler wegließen und die auch bei den heutigen Plastikfiguren fehlen.
    Zum Fett haben wir eine ambivalente Einstellung. Im Buch Genesis verspricht der Pharao seinen Untertanen, dass sie das „Fett des Landes“ genießen werden, und damit meint er ganz offensichtlich etwas sehr Positives. In einer Zeit, da nur wenige fett sein konnten, galt ein großer Körperumfang als Zeichen von Wohlstand und Gesundheit. Herrscher, die zeigen wollten, dass ihnen nichts fehlte, waren stolz auf ihre Leibesfülle, von Hatschepsut über Wilhelm den Eroberer bis zu Heinrich VIII. Auch die extreme Fettleibigkeit war nicht unbekannt. Der griechische Arzt Galen behandelte einen gewissen Nikomachus von Smyrna, der angeblich so fett war, dass er nicht mehr aufstehen konnte. Die von der Philosophin Susan Bordo so genannte „Tyrannei der Schlanken“ kam unter den wenigen Wohlhabenden erst im späten 19.

Jahrhundert auf, und zwar als asketische Reaktion auf die gute Nahrungsmittelversorgung. Bestärkt wurden sie von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über Ernährung und Sport und sicher auch von einer neuen Erfindung: der Personenwaage. Interessant ist, dass die neuesten Versionen solcher Waagen kleine elektrische Ladungen durch den Körper jagen, um nicht mehr nur das Körpergewicht als solches, sondern auch den Fettanteil zu messen.
    Wenn die Dünnen in Mode sind, muss man für die nicht so Dünnen neue Namen erfinden. 1913 kam das wunderbare englische Adjektiv „Rubenesque“ auf. Die dreihundert Jahre zuvor gemalten, fleischeslustigen Nacktbilder von Peter Paul Rubens erinnern uns daran, dass Körperfülle einmal positiv gesehen wurde. Eine „rubenssche“ Gestalt ist ein Fremdkörper in einer Welt, in der Größe 0 Trumpf ist. Sie ist nicht fett, nicht einmal dick, nur eben etwas umfangreicher und vor allem kurvenreicher – begehrenswert, nicht abstoßend. Ihr Fleisch ist nicht hart wie das des homo clausus, sondern weich. Eher Marilyn Monroe als die späte Madonna.
    Anziehungsforscher haben das Werk des flämischen Künstlers kürzlich untersucht, um die in der Evolutionspsychologie weitgehend unumstrittene These zu überprüfen, dass Männer aufgrund ihrer biologischen Veranlagung Frauen mit einem Taille-Hüft-Quotienten von etwa 0,70 bevorzugen, was etwa einem Bauchumfang von 63,5 cm und einem Hüftumfang von 91 cm entspricht und im Widerspruch zu Beobachtungen in nichtwestlichen Gesellschaften steht, in denen Attraktivität und Körpergewicht proportional zueinander sind. Die Forscher vermaßen 29 nackte Frauen auf Rubens-Gemälden, die ein künstlerisches Schönheitsideal repräsentieren, und errechneten einen deutlich höheren Taille-Hüft-Quotienten von 0,78. Damit ist wieder einmal bewiesen, dass die 0,70 keine weltweit und für immer gültige Norm sind.
    Aber wo hört der Spaß auf? Fett hat einige wichtige Aufgaben, vor allem dient es als Energiespeicher. Im Körper gibt es ungefähr 30

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