Anbetung
hätte ich einige Leben retten können.
Als Kind habe ich gedacht, dass diese Schatten missgünstige Geister sind, die in den Personen, um die sie herumschwärmten, das Böse nährten. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass nicht wenige Menschen gar keine übernatürliche Anstiftung brauchen, um barbarische Taten zu begehen; manche Leute sind von sich aus Teufel, deren verräterische Hörner nach innen gewachsen sind, um ihnen die Tarnung zu erleichtern.
Heute glaube ich, dass Bodachs schreckliche Geschehnisse nicht fördern, sondern sich auf irgendeine Weise davon nähren.
Ich halte sie für übersinnliche Vampire, nicht unähnlich den Moderatoren von Nachmittagstalkshows, deren emotional gestörte, selbstzerstörerische Gäste dazu gebracht werden, ihre beschädigte Seele zu entblößen. Allerdings sind sie noch gruseliger.
Inzwischen war der Pilzmann von vier Bodachs umringt, weitere beobachteten ihn durch die Fenster. Er verzehrte die letzten Happen seiner Burger und Fritten und spülte sie mit den Resten von Milchshake und Vanille-Cola hinunter. Dann legte er ein großzügiges Trinkgeld für Bertie auf die Theke, bezahlte an der Kasse seine Rechnung und verließ das Lokal mit seinem dahinschleichenden Gefolge aus schlüpfrigen Schatten.
Durch blendendes Sonnenlicht und schimmernde Hitzeschleier, die vom gebackenen Asphalt aufstiegen, sah ich ihn die Straße überqueren. Die Bodachs an seinen Seiten und hinter ihm waren schwer zu zählen, weil sie durcheinander schwärmten, aber ich hätte einen Wochenlohn gewettet, dass es nicht weniger als zwanzig waren.
6
Obwohl ihre Augen weder golden noch überirdisch blau sind, hat Terri Stambaugh den Blick eines Engels. Sie durchschaut einen Menschen und kennt dessen wahres Herz, aber sie liebt einen dennoch, obwohl man in vielfacher Weise aus dem Stand der Gnade gefallen ist.
Sie ist einundvierzig, also alt genug, um meine Mutter zu sein. Allerdings ist sie nicht verschroben genug, um meine Mutter zu sein. Nicht einmal annähernd.
Terri hat den Grill von ihren Eltern geerbt und führt ihn mit dem hohen Standard, den diese etabliert haben. Sie ist eine faire Chefin und arbeitet schwer.
Ihre einzige ausgefallene Eigenschaft ist ihre Besessenheit von Elvis Presley und allem, was mit dem King of Rock ’n’ Roll zu tun hat.
Weil sie sich freut, wenn man ihr enzyklopädisches Wissen auf die Probe stellt, sagte ich: »Neunzehnhundertdreiundsechzig. «
»Okay.«
»Mai.«
»Welcher Tag?«
Ich wählte aufs Geratewohl einen aus: »Der neunundzwanzigste. «
»Das war ein Mittwoch«, sagte Terri.
Der Ansturm zum Mittagessen war vorbei. Mein Arbeitstag war um zwei zu Ende gegangen. Nun saßen wir an einem Tisch hinten im Lokal und warteten darauf, dass Viola Peabody,
eine der Kellnerinnen der zweiten Schicht, uns unser Essen brachte.
Am Grill war ich von Poke Barnet abgelöst worden. Poke ist mehr als dreißig Jahre älter als ich, mager und sehnig; er hat ein von der Mojavewüste gegerbtes Gesicht und die Augen eines Revolverhelden. Er ist so schweigsam wie eine Krustenechse, die sich auf einem Felsen sonnt, und so selbstgenügsam wie ein Kaktus.
Sollte Poke sich in einem früheren Leben im Wilden Westen aufgehalten haben, dann war er damals eher ein blitzschnell ziehender Marshal oder auch ein Mitglied der Dalton-Bande als der Koch eines Planwagentrecks. Mit oder ohne einschlägige Vorerfahrungen ist er jedoch ein guter Mann an Grill und Pfanne.
»Am Mittwoch, dem 29. Mai 1963«, sagte Terri, »hat Priscilla den Abschluss der Immaculate-Conception-Highschool in Memphis erworben.«
»Priscilla Presley?«
»Damals hieß sie noch Priscilla Beaulieu. Während der Abschlussfeier hat Elvis draußen vor der Schule in seinem Wagen gewartet.«
»Er war nicht eingeladen?«
»Klar war er das. Aber seine Anwesenheit in der Aula hätte zu viel Aufsehen erregt.«
»Wann haben sie geheiratet?«
»Zu einfach. Am 1. Mai 1967, kurz vor zwölf Uhr mittags, in einer Suite des Aladdin Hotels in Las Vegas.«
Terri war fünfzehn, als Elvis starb. Damals war er kein Mädchenschwarm mehr. Er war zu einer aufgeblähten Karikatur seiner selbst geworden in seinen bestickten, mit unechten Brillanten besetzen Overalls, die besser zu Liberace gepasst hätten als zu einem am Blues geschulten Sänger mit hartem
Rhythmus, der seinen ersten Tophit 1956 mit »Heartbreak Hotel« hatte.
In jenem Jahr war Terri noch nicht einmal geboren gewesen. Ihre Faszination von Elvis hatte erst sechzehn
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