Anbetung
steifen Fingern zwischen den Schulterblättern gekratzt.
Im Allgemeinen nehmen Geister ihren Zustand ernst und zeigen ein gemessenes Betragen. Sie gehören eigentlich ins Jenseits, sind jedoch aus irgendwelchen Gründen hier stecken geblieben und warten ungeduldig darauf weiterzukommen.
Ab und an treffe ich jedoch auf einen Geist, der seinen Sinn für Humor behalten hat. Um mich zu belustigen, ließ Tom es sich nun nicht nehmen, mit dem Zeigefinger des abgetrennten Arms in der Nase zu bohren.
Mir ist es lieber, wenn Geister melancholisch sind. Ein wandelnder Toter, der mich zum Lachen zu bringen versucht, hat etwas an sich, was mich frösteln lässt – vielleicht weil es darauf schließen lässt, dass wir selbst post mortem ein erbärmliches Bedürfnis nach Liebe haben und die traurige Fähigkeit, uns selbst zu erniedrigen.
Wäre Tom Jedd in weniger scherzhafter Laune gewesen, dann wäre ich vielleicht länger bei Tire World geblieben. Sein Gag verstörte mich jedoch ebenso wie sein augenzwinkerndes Grinsen.
Als ich zu Terris Mustang ging, stand Tom am Fenster des Ausstellungsraums und winkte zum Abschied ebenso heftig wie närrisch mit seinem abgetrennten Arm.
Ich fuhr über den weiten, von der Sonne versengten Parkplatz und stellte den Mustang gleich neben dem Haupteingang des Einkaufszentrums ab. Ein paar Arbeiter waren dort gerade damit beschäftigt, ein Banner für den großen Sommerschlussverkauf anzubringen, der von Mittwoch bis Sonntag stattfinden sollte.
Im Innern des höhlenartigen Shoppingmekkas war in den meisten Läden nicht viel los, nur die Eisdiele war gut besucht.
Stormy Llewellyn arbeitet in der Eisdiele, seit sie sechzehn ist. Nun ist sie zwanzig und Filialleiterin. Sie hat vor, mit vierundzwanzig einen eigenen Laden zu besitzen.
Hätte sie nach der Highschool eine Astronautenausbildung absolviert, dann hätte sie inzwischen einen Getränkestand auf dem Mond.
Trotzdem behauptet sie, nicht ehrgeizig zu sein. Sie sei bloß schnell gelangweilt und brauche Stimulation. Ich habe bereits häufig angeboten, sie zu stimulieren.
Sie sagt, sie meine geistige Stimulation.
Daraufhin erkläre ich ihr, ich hätte durchaus ein Gehirn, auch wenn sie das noch nicht bemerkt haben sollte.
Sie sagt, mein Stehaufmännchen habe bestimmt kein Gehirn, und was sich in meinem Dickschädel befinde, stehe noch zur Debatte.
»Was meinst du, wieso ich dich manchmal Pu nenne?«, hat sie einmal gefragt.
»Weil ich knuddelig bin?«
»Weil im Kopf von Pu bloß Füllmaterial ist.«
Unser Zusammensein ist nicht immer eine Neuauflage von Abbott und Costello. Manchmal ist sie Rocky, und ich bin Bullwinkle.
Ich ging zur Theke der Eisdiele und sagte: »Ich brauche was, das heiß und süß ist.«
»Unsere Spezialität sind kühle Sachen«, sagte Stormy. »Setz dich schön raus auf die Promenade, und sei brav. Ich bringe dir was.«
Trotz des Andrangs waren noch ein paar wenige Tische frei; allerdings vermeidet es Stormy lieber, sich drinnen privat zu unterhalten. Manche der anderen Angestellten finden sie faszinierend,
und sie will ihnen keinen Grund zum Tratschen geben.
Ich verstehe genau, was für Gefühle diese Leute haben. Auch ich finde Stormy faszinierend.
Also trat ich aus der Eisdiele auf die öffentliche Promenade und setzte mich zu den Fischen.
Der Einzelhandel und die dramatischen Künste ziehen in Amerika am selben Strang: Filme sind voller Productplacement, und Einkaufszentren sollen eine dramatische Wirkung hervorrufen. So stürzt am einen Ende der Green Moon Mall ein zwölf Meter hoher Wasserfall an einem künstlichen Felsen herab. Von dort aus fließt ein Bach durch das gesamte Gebäude, wobei er eine Reihe gestufter Stromschnellen überquert.
Wenn man am Ende einer zwanghaften Kauforgie feststellt, dass man sich finanziell zugrunde gerichtet hat, dann kann man sich in diesen Wasserlauf stürzen und ersäufen.
Vor der Eisdiele mündet der Bach in einen tropischen Teich, der von Palmen und üppigen Farnen umgeben ist. Man hat sich große Mühe gegeben, die Szenerie täuschend echt aussehen zu lassen. Leise und eindringlich hallen elektronisch konservierte Vogelrufe durch das Grün.
Abgesehen vom Fehlen riesiger Insekten, erstickender Feuchtigkeit, im Todeskampf stöhnender Malariaopfer, giftiger Vipern, die so zahlreich wie Moskitos sind, und tollwütiger Dschungelkatzen, die im Wahnsinn ihre eigenen Pfoten verschlingen, könnte man schwören, im Regenwald des Amazonas zu sein.
Im Teich schwimmen
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