Anbetung
Magnetismus«.
»Und da kommt er auch schon«, sagte ich und meinte damit den Pilzmann, der just die Promenade entlanggeschlendert kam. Er folgte den Stromschnellen, die ihn zu dem tropischen Karpfenteich hinter uns führten.
Stormy musste mich nicht erst auffordern, ihr den Burschen zu zeigen. Aus der Menge der Einkaufsbummler stach er so deutlich hervor wie eine Ente aus einer Hundemeute.
Obwohl ich fast mein ganzes Eis aufgeschleckt hatte, ohne dass es mir kalt geworden wäre, fröstelte mich beim Anblick dieses merkwürdigen Mannes. Er spazierte nur über die Travertinpromenade, und doch klapperten mir die Zähne, als wäre er soeben über mein Grab geschritten.
8
Bleich und aufgedunsen, ließ der Pilzmann seinen wässrig grauen Blick über die Schaufenster schweifen. Dabei sah er fast so verwirrt aus wie ein Alzheimerpatient, der aus seinem Pflegeheim in eine Welt hinausgewandert ist, die er nicht wiedererkennt. In den Händen trug er pralle Einkaufstaschen aus zwei verschiedenen Kaufhäusern.
»Was ist das gelbe Zeug auf seinem Kopf?«, fragte Stormy.
»Haare.«
»Ich dachte, das ist ein gehäkeltes Käppchen.«
»Nein, das sind Haare.«
Der Pilzmann betrat die Eisdiele.
»Sind die Bodachs immer noch bei ihm?«, fragte Stormy.
»Nicht so viele wie vorhin. Bloß drei.«
»Und die sind mit ihm in meinem Laden?«
»Ja. Sie sind alle reingegangen.«
»Das ist schlecht fürs Geschäft«, sagte sie düster.
»Wieso? Keiner von euren Kunden kann sie sehen.«
»Wie könnten durch die Gegend schleichende böse Geister wohl gut fürs Geschäft sein?«, entgegnete Stormy. »Wart mal einen Augenblick.«
Da saß ich nun mit den unzüchtigen Kois im Rücken und dem Rest meiner Eiskrem in der rechten Hand. Ich hatte den Appetit verloren.
Durch die Fenster der Eisdiele sah ich den Pilzmann an der Theke stehen. Er studierte die Speisekarte, dann gab er seine Bestellung auf.
Stormy bediente ihn nicht selbst, stand jedoch nahebei hinter der Theke und tat so, als hätte sie da etwas zu tun.
Es gefiel mir gar nicht, dass sie dort in seiner Nähe war. Sie war in Gefahr, das spürte ich.
Obwohl die Erfahrung mich gelehrt hat, meinen Gefühlen zu vertrauen, ging ich nicht hinein, um neben ihr Posten zu beziehen. Sie hatte mich gebeten, auf der Bank zu warten, und ich hatte nicht die Absicht, mich mit ihr anzulegen. Wie die meisten Männer finde ich es demütigend, von einer Frau, die selbst nach einem opulenten Festmahl kaum fünfzig Kilo wiegt, einen Tritt in den Hintern zu bekommen.
Hätte ich eine Lampe samt Geist und einen Wunsch frei gehabt, dann hätte ich mich zu Tire World zurückgewünscht, in die Ruhe jenes Ausstellungsraums mit den Regalen voll tröstlich runder Gummiformen.
Ich musste an den armen Tom Jedd denken, der mir mit seinem abgetrennten Arm zugewinkt hatte, und beschloss, mein restliches Eis doch noch zu verputzen. Keiner von uns weiß, wann er sich dem Ende seines Weges nähert. Vielleicht war dies die letzte Kugel Kokos-Kirsch mit Schokosplittern, die mir noch vergönnt war.
Als ich mir das letzte Stück Eistüte in den Mund steckte, kam Stormy wieder und setzte sich neben mich. »Er hat was zum Mitnehmen bestellt. Einen Riesenbecher Maple-Walnuss und einen Riesenbecher Mandarine-Schoko.«
»Sind die Geschmacksrichtungen von Bedeutung?«
»Das musst du entscheiden. Ich erstatte bloß Bericht. Auf jeden Fall ist er ein echt abartiger Bastard. Mir wär’s am liebsten, wenn du ihn einfach wieder vergisst.«
»Du weißt, dass ich das nicht kann.«
»Du hast einen Messiaskomplex – meinst ständig, du musst die Welt retten.«
»Ich habe keinen Messiaskomplex. Ich habe bloß … diese Gabe. Die hätte ich nicht erhalten, wenn ich sie nicht benutzen sollte.«
»Vielleicht ist es gar keine Gabe. Vielleicht ist es ein Fluch.«
»Es ist eine Gabe.« Ich tippte mir an den Kopf. »Da hab ich schließlich immer noch die Schachtel, in der sie gekommen ist.«
Der Pilzmann trat aus der Eisdiele. Zusätzlich zu den beiden Kaufhaustaschen trug er nun auch noch den gepolsterten Kühlbeutel mit seiner Eiskrem.
Er schaute nach rechts, nach links und wieder nach rechts, als wäre er sich nicht sicher, aus welcher Richtung er gekommen war. Sein vages Lächeln, das scheinbar so permanent wie eine Tätowierung war, wurde kurz breiter, und er nickte vergnügt, als würde er etwas unterstreichen, was er zu sich selbst gesagt hatte.
Als der Pilzmann sich in Bewegung setzte und wieder stromaufwärts
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