Anbetung
Wachstuch stand ein kleines Glas Pfirsichbrandy.
Wie immer lieferte Elvis die Hintergrundmusik zu Terris Leben. Diesmal sang er »Wear My Ring Around Your Neck«.
Wir hatten gewusst, dass sie uns hereinbitten würde, weshalb Stormy erst gar nicht unten an der Treppe gewartet hatte.
Gelegentlich leidet Terri an Schlaflosigkeit, aber selbst wenn der Schlaf sie im Nu überkommt, sind ihre Nächte lang.
Um neun Uhr abends wird am Eingang des Grills das Schild GESCHLOSSEN aufgehängt, und zwischen neun und zehn verlässt der letzte Gast das Lokal. Egal, ob Terri dann koffeinfreien Kaffee trinkt oder etwas Stärkeres, entkorkt sie nebenbei auch eine Flasche Einsamkeit.
Ihr Mann Kelsey, mit dem sie seit der Highschool zusammen war, ist nun schon seit neun Jahren tot. Sein Krebs war unerbittlich, aber als ungewöhnlich entschlossener Kämpfer hat er drei Jahre gebraucht, um zu sterben.
Als man ihm die schlimme Diagnose mitteilte, schwor er, Terri nicht allein zu lassen. Er besaß den Willen, aber nicht die Kraft, seinen Schwur zu halten.
Wegen der nie versagenden guten Laune und dem stillen Mut, mit dem Kelsey seinen tödlichen Kampf geführt hat, sind Terris Liebe und Achtung in seinen letzten Jahren noch tiefer geworden, als sie es ohnehin schon immer waren.
In gewisser Weise hat Kelsey sein Versprechen, sie nie zu verlassen, doch gehalten. Es ist allerdings nicht so, dass sein Geist im Lokal oder irgendwo anders in Pico Mundo verweilen würde. Vielmehr lebt er intensiv in Terris Erinnerungen und hat einen festen Platz in ihrer Seele.
Nach drei, vier Jahren ist ihr Gram zu einer ruhigen Trauer gereift. Ich glaube, sie war überrascht, dass sie selbst dann, als sie den Verlust annehmen konnte, nicht den Wunsch verspürt
hat, den Riss in ihrem Herzen zu flicken. Die Leerstelle, die Kelsey hinterlassen hat, ist tröstlicher für sie als irgendein Ersatz, mit dem sie sie schließen könnte.
Von Elvis, seinem Leben und seiner Musik ist sie seit genau neun Jahren fasziniert. Damals war sie zweiunddreißig, und das war das Jahr, in dem Kelsey starb.
Die Gründe für ihr intensives Interesse am King of Rock ’n’ Roll sind zahlreich. Einer davon ist zweifellos dieser: Solange sie eine Elvis-Sammlung – Musik, Erinnerungsstücke, biografische Fakten – aufbauen und pflegen muss, hat sie keine Zeit, sich von einem lebenden Mann angezogen zu fühlen, und kann ihrem toten Gatten emotional treu bleiben.
Elvis ist die Tür, die sie jeder Romanze vor der Nase zuschlägt. Das Gebäude seines Lebens ist ihre Berghöhle, ihre Einsiedelei, ihr Nonnenkloster.
Als Stormy und ich uns an den Tisch setzten, hielt Terri uns behutsam von dem vierten Stuhl fern. Es war der, auf dem Kelsey immer gesessen hatte.
Das Thema unserer nahen Hochzeit kam zur Sprache, noch bevor wir es uns gemütlich gemacht hatten. Mit dem Pfirsichbrandy, den sie auch uns einschenkte, brachte Terri einen Toast auf unser dauerhaftes Glück aus.
Jeden Herbst braut sie mehrere Tontöpfe voller Pfirsichschalen zu diesem Elixier, das sie, wenn es vergoren ist, durch ein Sieb gießt und in Flaschen abfüllt. Der Geruch ist unwiderstehlich, und der Brandy hat eine Wirkung, der man sich am besten nur mit kleinen Gläsern aussetzt.
Später, als Stormy und ich unser zweites Glas leerten, während der King »Love Me Tender« sang, erzählte ich Terri, dass ich Elvis in ihrem Wagen mitgenommen hatte. Zuerst war sie begeistert, dann jedoch traurig, als sie hörte, wie viel er auf der Fahrt geweint hatte.
»Ich habe ihn schon früher ein paarmal weinen sehen«, agte ich. »Seit seinem Tod ist er offenbar ziemlich empfindlich. Aber das heute war das Schlimmste, was ich je mit ihm erlebt habe.«
»Natürlich ist es kein Geheimnis, weshalb er ausgerechnet heute so schlimm dran war«, sagte Terri.
»Also, für mich ist es schon ein Geheimnis«, sagte ich.
»Heute ist der vierzehnte August. Am vierzehnten August 1958 ist um drei Uhr vierzehn morgens seine Mutter gestorben. Sie war erst sechsundvierzig.«
»Gladys«, sagte Stormy. »Sie hieß Gladys, stimmt’s?«
Es gibt den Ruhm von Filmstars, wie ihn Tom Cruise genießt, den Ruhm von Rockstars wie Mick Jagger, literarischen Ruhm, politischen Ruhm … aber zu echter Legende geworden ist bloßer Ruhm erst dann, wenn Angehörige verschiedener Generationen sich sogar an den Namen deiner Mutter erinnern, und das noch ein Vierteljahrhundert nach deinem Tod und fast ein halbes Jahrhundert nach ihrem.
»Elvis war damals
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