Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
zur Schau; Harry konnte sich nicht erinnern, sie jemals an ihm gesehen zu haben. Er hatte die Arme über der Brust verschränkt. Er lächelte, und seine Augen waren hell und klar und kindlich.
    »Was siehst du?« fragte Harry.
    »Mama-ma-mma.«
    »Was macht sie?«
    »Mami sitzt an ihrem Schreibtisch. Sie raucht und sieht ihre Papiere durch.« Eddie kicherte. »Mami sieht komisch aus. Sieht aus, als würde Rauch aus ihrem Kopf kommen.« Eddie senkte das Kinn und verbarg sein Lächeln hinter einer Hand. »Mami sieht mich nicht. Ich kann sie sehen, aber sie sieht mich nicht. Oh! Mami arbeitet hart! Sie arbeitet hart an ihrem Schreibtisch!«
    Eddies Lächeln erlosch unvermittelt. Sein Gesicht erstarrte einen Augenblick in einem komischen gummiartigen Fehlen jeglichen Mienenspiels, dann riß er entsetzt die Augen auf, sein Mund klappte auf und wurde schlaff.
    »Was ist passiert?« Harrys Mund war trocken geworden.
    »Nein, Mami!« wimmerte Eddie. »Nicht, Mami! Ich habe nicht spioniert, nein, ich verspreche es ...« Seine Worte verloren sich in einem Kreischen. »NEIN, MAMI! NICHT! NICHT, MAMI!« Eddie sprang auf, der Stuhl kippte polternd um, dann rannte er blind in den hinteren Teil des Dachbodens. Eddies Kreischen hallte in Harrys Kopf wider. Er hörte das scharfe Knack! von brechendem Holz, jedoch nur als Bestandteil allen Lärms, den Eddie machte, während er auf dem Dachboden herumrannte. Eddie hatte sich in einem Bündel hängender Kleider verfangen, wirbelte herum, verhedderte sich noch tiefer in den Kleidern, riß sich aus dem Netz der Kleider los, wobei er sie von der Stange zog. Ein langarmiges purpurrotes Kleid mit riesigem Spitzenkragen hatte sich wie ein geisterhafter Tanzpartner um Eddie geschlungen, ein weiteres Kleid, dieses aus weinrotem Samt, schlängelte sich um sein rechtes Bein. Eddie kreischte erneut und riß sich aus dem Gewühl los. Der gesamte Kleiderständer erbebte und kippte dann mit ohrenbetäubendem Poltern um.
    »NEIN!« kreischte er. »HILFE!« Eddie lief direkt in einen Querbalken, welcher aus einer Dachverstrebung hervorragte, prallte ab und kam mit wie Windmühlenflügel rudernden Armen auf Harry zugerast. Harry wußte, daß sein Bruder ihn nicht sehen konnte.
    »Eddie, hör auf«, sagte er, doch Eddie konnte ihn nicht mehr hören. Harry versuchte, Eddie aufzuhalten, indem er die Arme um ihn schlang, aber Eddie prallte ungebremst mit ihm zusammen, traf ihn mit der Schulter an der Brust und stieß den Kopf schmerzhaft gegen Harrys Kinn; Harrys Arme schlossen sich ins Leere, sein Blick verschwamm, und Eddie prallte laut klirrend gegen den Kippspiegel. Der Spiegel neigte sich seitwärts. Harry sah ihn mit traumhafter Langsamkeit dem Boden entgegenkippen, dann fiel er innerhalb eines Sekundenbruchteils, und zerschellte. Glassplitter wurden über den ganzen Boden geschleudert.
    »AUFHÖREN!« brüllte Harry. »BLEIB STEHEN, EDDIE!«
    Eddie kam zur Ruhe. Ein zerrissenes und schmutziges weinrotes Samtkleid hing immer noch an seinem rechten Bein. Aus einem häßlichen Schnitt über dem Auge rann Blut seine Schläfe hinab. Er atmete schwer und stieß die Luft in knappen, wimmernden Stößen aus.
    »Ach du Scheiße«, sagte Harry und sah sich auf dem Dachboden um. Innerhalb weniger Sekunden hatte Eddie etwas angerichtet, was auf den ersten Blick völliger Verwüstung ziemlich nahe kam. Maryroses alte Kleider lagen zu einem Haufen staubigen Stoffs verschlungen, aus welchem Drahtkleiderbügel skelettartig hervorragten; graue Eddie-große Fußabdrücke lagen wie ein Muster über der verstummten Explosion von Farben, die die Kleider nun bildeten. Als der Kleiderständer umgefallen war, hatte er ein Stück von der Größe eines Serviertabletts aus einem runden Kaffeetisch herausgeschlagen, den Maryrose ganz besonders geschätzt hatte, weil er aus einem einzigen Stück Teakholz hergestellt worden war - ›ein einziges Stück Teak , das seltenste Holz der Welt, wurde eigens von Ceylon hierhergeschafft!‹ Der wertvolle Spiegel war in tausend Scherben zerschellt, die über den ganzen Boden verstreut waren. Mit wachsendem Entsetzen sah Harry, daß der Holzrahmen wie ein Knochen gebrochen war und eine knochenbleiche, schockierend weiße Bruchstelle in dem dunkel gebeizten Rahmen zeigte.
    Harrys Blut sackte in seinem Körper abwärts, und er wäre beinahe umgekippt wie der Spiegel. »O Gott o Gott o Gott.«
    Er drehte sich langsam um. Eddie stand blinzelnd zwei Schritte von ihm entfernt und wischte

Weitere Kostenlose Bücher