anderbookz Short Story Compilation II
Harry. »Okay.«
Er festigte den Griff um die Nadel und zog. Sie glitt mühelos aus der Wunde. Harry hielt die Hutnadel vors Gesicht, so wie ein Doktor ein Thermometer hochhält, um die Temperatur abzulesen. Er hatte sich vorgestellt, der ganze untere Teil würde rot getränkt sein, aber er sah, daß nur ein einziger gewundener Reif getrockneten Blutes an der Nadel klebte. Eine benommene Sekunde lang dachte er daran, das Ende der Nadel in den Mund zu nehmen und es sauberzulecken.
Er dachte: Vielleicht war ich in einem anderen Leben Lepke Buchalter.
Er zog sein Taschentuch, ein schmutziges Rechteck aus roten Paisley, aus der Tasche und wischte den Reif aus Blut vom Schaft der Nadel ab. Dann beugte er sich nach vorne und wischte sanft den roten Striemen von Eddies Unterarm. Harry legte das Taschentuch so zusammen, daß kein Blut zu sehen war, wischte sich den Schweiß vom Gesicht und schob das zerknitterte Tuch wieder in die Tasche.
»Das war gut, Eddie. Jetzt werden wir etwas tun, das ein wenig anders ist.«
Er kniete neben seinem Bruder nieder und hob Eddies fast schwerelosen, feingeäderten Arm. »Du kannst in diesem Arm immer noch nichts spüren, Eddie, er ist völlig gefühllos. Er schläft tief, und er wird erst erwachen, wenn ich es ihm befehle.« Harry verlagerte das Gewicht, um einen festen Halt zu haben, während er kniete, dann legte er die Spitze der Hutnadel fast flach gegen Eddies Arm. Er stieß sie so weit vorwärts, daß sich eine kleine Hautfalte bildete. Die Spitze der Nadel bohrte sich in Eddies Haut, durchstieß sie aber noch nicht. Harry drückte fester, die Nadelspitze hob den kleinen Fleischberg um ein kleines, aber beachtliches Stück.
Haut war entschieden schwerer zu durchbohren, als sich irgendjemand vorstellen konnte.
Die Nadel begann in seinen Fingern zu schmerzen, daher öffnete Harry die Hand und preßte den Kopf gegen die Basis des Mittelfingers. Er verzog das Gesicht und stemmte die Handflächen gegen die Nadel. Die Spitze der Nadel durchbrach die aufgeschobene Hautfalte.
»Eddie, du bist aus Bierdosen gemacht«, sagte Harry und zog den Kopf der Nadel zurück. Die Falte wurde wieder flach. Nun konnte Harry die Nadel wieder nach vorne schieben, wobei er den Schaft tiefer und tiefer unter Klein Eddies Haut schob. Er konnte sehen, wie die durch die Nadel hochgeschobene Hautspur am Unterarm seines Bruders hinabkroch, was so aussah, als würde ein Zeichentrickrasen von einem Zeichentrickhasen aufgebuddelt werden. Als der Perlmuttkopf sich noch etwa drei Zoll vom Einstichloch entfernt befand, stieß Harry ihn in Klein Eddies Fleisch hinab, wodurch die Spitze der Nadel angehoben wurde. Er versetzte dem Kopf einen heftigen Stoß, und die Spitze wurde am Ende der Furche in Eddies Haut sichtbar, wo sie sich durch einen Blutstropfen bohrte. Harry schob die Nadel noch weiter hinein. Nun war an beiden Enden etwa eineinhalb Zoll graues Metall zu sehen.
»Spürst du etwas?«
»Nein.«
Harry wackelte am Kopf der Nadel, eine Kugel aus Blut quoll aus der Wunde hervor und begann Eddies Arm hinabzulaufen. Harry setzte sich neben Eddie auf den Boden der Dachkammer und begutachtete sein Werk. Sein Verstand schien auf angenehme Weise frei von Gedanken und lediglich von einer Vielzahl von Empfindungen erfüllt zu sein. Er spürte ein Summen in seinem Kopf, konnte es aber nicht hören, ein unscharfer Film schien seine Augen zu bedecken. Er atmete durch den Mund. Die lange Nadel, die Eddies Unterarm durchbohrte, schien auf eine Weise monströs zu sein; auf eine andere aber war sie wunderschön. Haut, Blut und Metall. Harry hatte noch nie vorher etwas Ähnliches gesehen. Er streckte den Arm aus und drehte die Nadel, worauf eine weitere Blutschlange aus der Ausstichöffnung hervorkroch. Harry sah das alles wie durch Milchglas, aber das störte ihn nicht. Er wußte, das verschwommene Bild war nur geistig. Er berührte den Kopf der Nadel wieder und bewegte ihn von einer Seite zur anderen. Weiteres Blut tröpfelte aus beiden Öffnungen. Dann schob Harry die Nadel weiter hinein, zog sie teilweise heraus, so daß die Spitze fast wieder in Klein Eddies Fleisch verschwand, und stieß sie wieder vor; das wiederholte er mehrmals, hin und her, hin und her, eine ganze Weile, als wollte er seinen Bruder aufsägen.
Schließlich zog er die Nadel aus dem Unterarm seines Bruders heraus. Zwei lange Rinnsale Blut hatten beinahe dessen Handgelenk erreicht. Harry drückte die Handballen in die Augen, blinzelte und stellte
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