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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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Schärpe und fuhr mit den Fingern über das perlenbestickte Lederband, das ihren Hals und Nacken umschloß. Vor dem Fenster war ein Stallknecht damit beschäftigt, Heu für die Pferde der Abendgäste bereitzustellen. Die Alltagsbewegungen rund um das Haus trösteten Bird, wie auch die Stimme des Mädchens , die im vergangenen Jahr heller geworden war und kindlicher klang als zum Zeitpunkt ihrer Ankunft. Bird drehte sich um, als sie die Frage hörte:
    »Bitte, erzähl mir noch mal von den Masern .« Das Mädchen deutete auf ein Wort.
    »Die Händler brachten uns die Masern. Sie stahlen viele Dinge und machten mein Volk krank. Mit ihrem Atem und mit dem Stoff, den sie uns verkauften. Man bekommt Flecken am ganzen Körper und Fieber. Viele sterben.«
    »Warum bist du nicht gestorben?« Das Mädchen bemühte sich in Gildas Tonfall zu sprechen, so wie sie deren Gang nachzuahmen versuchte, wenn sie sich unbeobachtet glaubte. Hing Birds Errettung von den Masern vielleicht mit den Gerüchten zusammen, daß sie und Gilda mit Zauberei zu tun hatten? Das Mädchen hatte bei Woodard’s durchaus absonderliche Dinge beobachtet, aber nichts erinnerte auch nur von ferne an Hexerei, und so beachtete sie den Klatsch nicht.
    Bird war verwundert, aus dem Munde des Mädchens die vertraute Sprachmelodie zu hören, und sah sie einen Moment schweigend an. »Als die Menschen starben, haben sich ein paar von uns vom Stamm getrennt. Meine Mutter und ihre Brüder glaubten, sie könnten der Luft entfliehen, die uns tötete. Um die Krankheit aus unserem Geist fortzubrennen, zogen wir gen Süden, dahin wo es warm war. Unterwegs war ich eine Weile krank, aber wir ließen die Krankheit am Wegesrand zurück.« Es tat weh, davon zu erzählen; erst hatten die Brüder der Mutter sich vor ihr gefürchtet, als die Krankheit ausbrach, und dann waren sie mißtrauisch, als sie gesundete.
    Weil sie überlebt hatte, hielten sie sie schließlich für eine Hexe und jagten sie fort, in die Nacht hinaus, die ihr zum Freund geworden war.
    »Hast du die Flecken noch?«
    Bird lachte und die winzige Narbe über ihrer Augenbraue schob sich nach oben. »Auf dem Rücken sind noch ein paar. Die Infektion ist lange vorüber, nur die Narben sind geblieben. Hast du denn diese Krankheit nicht gehabt, bevor du ...« Birds Stimme verklang. Sie wollte das Mädchen nicht an vergangene Kümmernisse erinnern.
    »Nein, keine Krankheit mit Flecken. Nur Fieber, durch das Wasser, sagte meine Mutter. Kann ich die Flecken mal sehen?«
    Bird machte die winzigen Knöpfe an Ärmeln und Oberteil auf, ließ das Baumwollkleid mit einer Bewegung von den Schultern rutschen und drehte den Rücken zur Lampe. Das Mädchen betrachtete mit aufgerissenen Augen die kleinen erhabenen Kreise auf der braunen Haut. Sie strich mit den Fingern über die Spuren der Krankheit. Die Spitze ihres kleinen Fingers paßte genau in die Vertiefung, die jedes der kreisförmigen Male aufwies.
    »Deine Haut ist so zart wie bei einem Baby«, sagte sie.
    »Gilda hat eine Mixtur, mit der sie mich einrieb, als ich ins Haus kam. Sie macht die Haut weich.«
    »Kann ich was davon für meine Hände haben?«
    Bird nahm die Hände des Mädchens . Die Fingerspitzen waren vernarbt, was keinesfalls Resultat der leichten Reinigungs- und Wascharbeiten bei Woodard’s sein konnte. Bird nickte. Sie preßte die kleinen harten Hände kurz gegen ihr Gesicht und ließ sie wieder los.
    »Warum wollen weiße Leute uns ihr Zeichen aufdrücken?« Das Mädchen war zu seinem eigenen Sprachrhythmus zurückgekehrt. Bird schlüpfte in die Ärmel und überlegte.
    »Vielleicht wollen sie nicht, daß man sie vergißt.« Sie sammelte das Schreibzeug ein und fügte hinzu: »Daß wir ohne Mühe vergessen, wer sie sind, wissen sie nicht. Im Gedächtnis bleiben einzig die Narben, die wir ihnen verdanken.«
    Das Mädchen betrachtete ihre dünnen, sehnigen Finger, und vor ihrem inneren Auge erschienen die tief vernarbten Peitschenspuren an den Beinen der Mutter. Sie schwieg, während Bird die Blätter in eine hölzerne Lade tat, in der sie die bisherigen Übungen aufbewahrte.
    Gern hätte Bird ihr noch eine Geschichte erzählt, eine glückliche diesmal, aber sie bemerkte die Unruhe des Mädchens , die bei der Erledigung ihrer Pflichten äußerst gewissenhaft war. Die Hausarbeit war noch nicht getan, und in wenigen Stunden kämen die Gäste. Vielleicht, so dachte Bird, war sie auch nur von nervösem Charakter.
    Das Mädchen ging hinaus, Bird folgte ihr und

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