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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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»Alles.«
    »Aber wir haben so viel Zeit, Gioia.«
    »Wirklich?«
    Er lächelte und zog sie dicht an seine Seite.
    »Zeit genug«, sagte er sanft.
    Er liebte sie für ihre Ungeduld, für ihren fröhlichen Eifer. Gioia war in dieser Hinsicht nicht wie die anderen, obwohl sie sonst in allem mit ihnen übereinstimmte. Sie war klein, schlank, geschmeidig, dunkeläugig mit olivfarbener Haut, schmalhüftig mit breiten Schultern und flachen Muskeln. Sie sahen alle so aus, keiner unterschied sich wesentlich vom anderen, wie Millionen von Brüdern und Schwestern; eine Welt kleiner, biegsamer, kindergleicher Mittelmeerbewohner, die geschaffen waren zum Jonglieren, zum Stiertanz, zu süßem, weißem Wein am Mittag und schwerem, totem Wein am Abend. Sie hatten die gleichen schlanken Körper, die gleichen breiten Münder, die gleichen großen, glänzenden Augen. Er hatte nie jemanden getroffen, der jünger als zwölf und älter als zwanzig zu sein schien. Gioia war aus irgendeinem Grund ein wenig anders, obwohl er nicht so recht wußte, warum, aber er war sicher, daß es dieses kaum Wahrnehmbare aber Entscheidende an ihr war, für das er sie liebte. Und vielleicht war das der Grund, warum sie ihn auch liebte.
    Er ließ seinen Blick von Westen nach Osten schweifen, vom Tor des Mondes hinunter zur breiten Canopus-Straße und hinaus über den Hafen und von da aus zum Grab der Cleopatra an der Spitze des langen, schmalen Kap Lochias. Alles war da, und alles war perfekt: die Obelisken, die Statuen und die Marmorkolonnaden, die Innenhöfe und Schreine und die kleinen Gehölze. Alexander der Große selbst in seinem Sarg aus Gold und Kristall; eine wunderschöne, glänzende, heidnische Stadt. Aber es gab merkwürdige Dinge darin - in der Nähe der öffentlichen Gärten stand zweifellos eine Moschee und nicht weit von der Bibliothek etwas, das eine christliche Kirche zu sein schien; und diese Schiffe im Hafen mit ihren roten Segeln und emporgereckten Masten - sie stammten mit Sicherheit aus dem Mittelalter, spätes Mittelalter noch dazu. Ihm waren derartige Anachronismen bereits an anderen Orten aufgefallen. Zweifellos fanden diese Menschen sie amüsant. Das Leben war für sie ein Spiel, das sie endlos spielten. Rom, Alexandrien, Timbuktu, warum nicht? Ein Asgard voller durchscheinender Brücken und schimmernder, eisgepanzerter Paläste schaffen und dann seiner überdrüssig werden und es wieder verschwinden lassen? Es durch Mohenjo-daro ersetzen? Warum nicht? Er bedauerte, daß diese stolzen nordischen Festsäle zerstört wurden zugunsten einer an den Boden gekauerten, unwirtlichen Stadt aus braunem Ziegelstein, die die Sonne in einen Glutofen verwandelte; aber diese Menschen sahen die Dinge anders als er. Ihre Städte gab es nur vorübergehend. In Asgard hatte jemand gesagt, daß Timbuktu als nächstes an der Reihe wäre zu verschwinden und dafür Byzanz errichtet werden sollte. Nun, warum nicht? Warum nicht? Sie konnten alles haben, was sie wünschten. Dies war schließlich das 50. Jahrhundert. Die einzige Vorschrift bestand darin, daß es nie mehr als fünf Städte auf einmal geben konnte. »Beschränkungen«, hatte Gioia ihm einmal ernst erklärt, als sie zusammen zu reisen begannen, »sind sehr wichtig.« Aber sie schien nicht zu wissen, warum, oder sie machte sich nicht die Mühe, es ihm zu sagen.
    Er blickte erneut hinaus auf das Meer.
    Er stellte sich vor, daß eine neue Stadt, aus dem Nebel geboren, plötzlich weit entfernt auf dem Wasser Gestalt annehmen würde, sah schimmernde Türme, mächtige Kuppelpaläste und goldene Mosaike. Es würde für sie keine Anstrengung bedeuten. Sie konnten so etwas komplett aus der Zeit abrufen, den Kaiser auf seinem Thron und die betrunkenen kaiserlichen Soldaten lärmend in den Straßen, den metallischen Klang des Kathedralengongs, der durch den Großen Basar dröhnte, Delphine, die vor den Strandpavillons im Wasser spielten. Warum nicht? Sie hatten Timbuktu. Sie hatten Alexandrien. Wird Konstantinopel gewünscht? Dann sollt ihr Konstantinopel haben! Oder Avalon, oder Lyonesse, oder Atlantis. Sie konnten alles haben, was sie wollten. Es war wie bei Schopenhauer: die Welt als Wille und Vorstellung. Ja! Diese schlanken, dunkelhäutigen Menschen, die, ohne es müde zu werden, von Wunder zu Wunder reisten. Warum nicht als nächstes Byzanz? Ja! Warum nicht? Das ist kein Land für Greise , dachte er. Jugend schlang Jugend Arm unter Arm, in Bäumen Vogelbrut - ja! Ja! Alles, was sie wollten. Sie

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