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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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es das Rom der Cäsaren an Stelle von Ch’ang-An und Rio de Janeiro statt Alexandrien gegeben hatte. Diese Menschen sahen keinen Sinn darin, etwas lange zu erhalten.
    Es war für ihn nicht einfach, sich nach der eisigen Pracht von Asgard an die lastende Schwüle Alexandriens zu gewöhnen. Der Wind, der vom Wasser her wehte, war heftig und heiß zugleich. Kleine, türkisfarbene Wellen spülten sanft an die Mole. Alle seine Sinne wurden hier gleichzeitig in Anspruch genommen, er nahm den heißen, drückenden Himmel wahr, den dumpfen, brackigen Modergeruch der nahen See, den beißenden Geruch des roten Tieflandsandes, den der Wind mitbrachte. Alles flimmerte im frühen Licht. Ihr Hotel lag wunderschön hoch oben am nördlichen Hang des künstlichen Walls, der als Paneum bekannt und dem ziegenfüßigen Gott geweiht war. Von hier aus hatten sie einen vollständigen Blick auf die Stadt, die breiten, gepflegten Boulevards, die emporstrebenden Obelisken und Monumente, den Hadriansplatz direkt unterhalb des Hügels, die riesige, eindrucksvolle Bibliothek, den Tempel des Poseidon, den von Menschen wimmelnden Marktplatz, das königliche Palais, das Marcus Antonius nach seiner Niederlage bei Actium hatte bauen lassen, und vor allem den Leuchtturm, diesen wundervollen Leuchtturm mit seinen zahllosen Fenstern, das siebente Weltwunder, diesen riesigen Komplex von Marmor und Kalkstein und rötlichem Granit, der sich in seiner ganzen Majestät am Ende eines Dammes von einer Meile Länge erhob. Der schwarze Rauch des Leuchtfeuers kräuselte sich träge von seiner Spitze empor. Die Stadt erwachte. Einige Temporäre in kurzen, weißen Tuniken tauchten auf und begannen, die dichten Hecken zu stutzen, die die großen öffentlichen Gebäude umgaben. Ein paar Bürger, in lose Gewänder gekleidet, die an griechischen Stil erinnerten, spazierten durch die Straßen.
    Überall gab es Geister, Schimären und Traumgestalten. Zwei schlanke, anmutige Zentauren, ein männlicher und ein weiblicher, grasten am Hang des Hügels. Ein untersetzter Schwertkämpfer mit stämmigen Beinen erschien auf der Schwelle des Poseidontempels; in der Hand hielt der ein abgetrenntes Gorgonenhaupt, das er in weitem Bogen durch die Luft schwenkte; dabei grinste er zufrieden. Auf der Straße unterhalb des Hoteleingangs dehnten und streckten sich drei kleine rosafarbene Sphinxe, nicht größer als Hauskatzen, und schlichen langsam den Bordstein entlang. Eine größere, ungefähr so groß wie ein Löwe und wahrscheinlich ihre Mutter, beobachtete sie aufmerksam von einem schmalen Gang aus. Selbst aus dieser Entfernung konnte er ihr lautes Schnurren hören.
    Er schirmte seine Augen gegen die Sonne ab und sah an dem Leuchtturm vorbei weit über das Meer hinaus. Er hoffte, wenigstens nebelhaft die Küsten von Kreta und Zypern im Norden zu sehen oder vielleicht den dunklen Bogen von Anatolien. Tragt mich zu jener großen Stadt Byzanz , dachte er, wo alles alt ist, singt zum Schlag der Ruder. Aber er sah nur die endlose leere See, blendend und sonnenhell, obwohl der Morgen gerade erst begann. Nichts lag mehr dort, wo er es gewohnt war. Die Kontinente schienen nicht länger an ihren angestammten Plätzen zu sein. Gioia hatte ihm das vor langer Zeit gezeigt, als sie ihn hoch droben in ihrem Himmelsflitzer mitgenommen hatte. Die Spitze Südamerikas war weit in den Pazifik hinausgeschoben, Afrika war seltsam verkürzt, und ein breiter Meeresstreifen trennte Europa und Asien. Australien schien überhaupt nicht zu existieren. Vielleicht hatten sie es ausgehoben und verwendeten es anderweitig. Es gab keine Spur mehr von der Welt, so wie er sie gekannt hatte. Dies war das 50. Jahrhundert. »Das 50. Jahrhundert nach was?« hatte er einige Male gefragt, aber niemand schien es zu wissen, oder es kümmerte sie nicht.
    »Ist Alexandrien sehr schön?« fragte Gioia von drinnen.
    »Komm heraus und sieh selbst.«
    Nackt und mit verschlafenem Blick trat sie auf die weiß geflieste Veranda heraus und schmiegte sich an ihn. Sie paßte genau unter seinen Arm. »Oh, ja, ja!« sagte sie leise. »So wunderschön, nicht wahr? Schau, dort die Paläste, die Bibliothek, der Leuchtturm! Wohin werden wir zuerst gehen? Zum Leuchtturm, denke ich. Ja? Und dann der Marktplatz - ich will die ägyptischen Magier sehen - und das Stadion, die Rennen - ob es heute Rennen gibt, was glaubst du? Oh, Charles, ich will alles sehen!«
    »Alles? Alles am ersten Tag?«
    »Alles am ersten Tag, ja«, sagte sie.

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