Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
einzigen Tag erstieg sie dreimal den Leuchtturm, ohne Zeichen von Ermüdung zu zeigen. Eines Nachmittags kam er von einem Besuch in der Bibliothek zurück und fand sie nackt im Innenhof. Sie hatte sich selbst über und über mit einer stark riechenden grünen Salbe eingerieben. Abrupt sagte sie: »Ich glaube, es wird Zeit, Alexandrien zu verlassen, meinst du nicht?«

    Sie wollte nach Mohenjo-daro, aber es war noch nicht fertiggestellt für Besucher. Statt dessen flogen sie ostwärts nach Ch’ang-An, das sie schon jahrelang nicht mehr gesehen hatten. Es war Phillips’ Vorschlag; er hoffte, daß das kosmopolitische Sammelsurium und das prunkvolle Treiben in der alten Tang-Hauptstadt ihre Stimmung heben würde.
    Sie sollten diesmal Gäste des Kaisers sein, ein außergewöhnliches Privileg, für das man sich normalerweise vorher anmelden mußte, aber Phillips hatte einem von Gioias hochgestellten Freunden erzählt, daß sie unglücklich war, und sie hatten schnell etwas arrangiert. Drei sich endlos verbeugende Beamte in fließenden gelben Gewändern mit purpurroten Schärpen empfingen sie am Tor der Leuchtenden Tugend an der südlichen Stadtmauer und geleiteten sie zu ihrem Gästehaus nahe beim kaiserlichen Palast und dem Verbotenen Garten. Es war hell und luftig und hatte dünne Wände aus verputztem Ziegelstein, die von grazilen Säulen aus dunklem, aromatischem Holz gestützt wurden. Auf dem Dach aus grünen und gelben Ziegeln stiegen Fontänen in die Luft, deren sprühender Regen wieder in einen endlosen Kreislauf zurückfloß. Die Balustrade bestand aus behauenem Marmor, die Beschläge der Türen waren aus Gold.
    Es gab eine eigene Suite für ihn und eine weitere für Gioia, doch sie teilten das hübsche, mit Damast ausgekleidete Schlafzimmer im Herzen des Pavillons. Als sie ankamen, verkündete Gioia sofort, daß sie sich zum Baden und Umkleiden in ihre Räume zurückziehen müsse. »Es wird heute abend für uns im Palast ein formeller Empfang gegeben«, sagte sie. »Man sagt, die kaiserlichen Empfänge seien glanzvoller als alles, was man sich vorstellen kann. Ich möchte so schön wie möglich sein.« Sie erzählte ihm, daß sie in der Halle des Höchsten Wesens vom Kaiser und all seinen Ministern empfangen würden und daß es ein Bankett für ungefähr tausend Menschen geben würde, dabei würden persische Tänzer und die berühmten Jongleure von Chung-Nan auftreten. Danach würden alle in die phantastische Landschaft des Verbotenen Gartens geführt werden, um Drachenrennen und Feuerwerk beizuwohnen.
    Er ging in seine eigenen Zimmer. Zwei zierliche, kleine Dienerinnen kleideten ihn aus und wuschen ihn mit wohlriechenden Schwämmen. Elf Temporären waren für diesen Pavillon als Diener eingeteilt; unaufdringliche, katzenartige Chinesen mit sanften Stimmen, die mit perfekter Glaubwürdigkeit gestaltet waren; das glatte, schwarze Haar, die gelbe Haut, die vorgeschriebenen Verbeugungen. Phillips fragte sich oft, was mit den Temporären einer Stadt passierte, wenn die Zeit dieser Stadt vorüber war. Wurden die gewaltigen nordischen Helden von Asgard in diesem Moment für Mohenjo-daro in drahtige, dunkelhäutige Draviden umgewandelt? Wenn die Tage von Timbuktu vorüber waren, würden die prächtig gekleideten schwarzen Krieger dann zu unterwürfigen Byzantinern, die die Arkaden von Konstantinopel belebten? Oder legten sie die alten Temporären einfach beiseite wie überflüssige Requisiten, stapelten sie irgendwo in Lagerhäusern und brachten die erforderliche Anzahl des neuen Modells heraus? Er wußte es nicht, und als er einmal Gioia danach gefragt hatte, hatte sie nur ausweichend geantwortet. Sie mochte es nicht, wenn er nach Informationen stocherte, und er hatte den Verdacht, daß es daran lag, daß sie selbst nicht genau Bescheid wußte. Diese Menschen schienen den Gang ihrer eigenen Welt nicht in Frage zu stellen; seine Neugier war typisch für das 20. Jahrhundert, das hatten sie ihm in ihrer freundlichen, leicht bevormundenden Art oft genug gesagt. Während die zwei kleinen Dienerinnen ihn umsorgten, kam ihm der Gedanke, sie zu fragen, wo sie vorher beschäftigt waren. In Rio? Harun al-Raschids Bagdad? Aber die zartgliedrigen Mädchen würden sicherlich nur kichern und sich zurückziehen, wenn er sie befragte. Temporären auszufragen galt nicht nur als unschicklich, es war auch sinnlos; es war, als ob man mit seinem Gepäck sprach.
    Als er gebadet hatte und in schwere rote Seide gekleidet war, wanderte er

Weitere Kostenlose Bücher