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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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Zeit das Passende heraus. Ihnen fehlten die Zusammenhänge, um eine Ära von der anderen zu trennen. Für sie war die ganze Vergangenheit ein einziges, unbeschränktes, zeitloses Reich. Weshalb sollte er dann nicht schon früher den Leuchtturm gesehen haben, er, der aus dem New York von 1984 in diese Zeit gesprungen war? Er hatte es ihnen nie erklären können. Julius Cäsar und Hannibal, Helena aus Troja und Karl der Große, das Rom der Gladiatoren und das New York der Yankees, Gilgamesch und Tristan, Othello und Robin Hood, George Washington und Königin Viktoria - für sie alles gleichermaßen real und irreal, keiner von ihnen bedeutete etwas anderes für sie als eine schillernde Figur, die sich auf einer bemalten Leinwand bewegte. Die Vergangenheit, die flüchtige und veränderliche Vergangenheit - für sie war es ein einziger Ort, der eine unendliche Zahl von Verknüpfungsmöglichkeiten bot. Es war daher normal, daß sie glaubten, der Leuchtturm sei ihm bereits bekannt. Er wußte, daß es ein sinnloser Versuch sein würde, die Dinge richtigstellen zu wollen. »Nein«, sagte er einfach. »Dies ist mein erster Aufenthalt in Alexandrien.«

    Sie blieben den ganzen Winter lang dort und wohl auch noch bis in den Frühling hinein. Alexandrien war kein Ort, an dem man sich der wechselnden Jahreszeiten deutlich bewußt wurde, und wenn man sein ganzes Leben als Tourist verbrachte, machte sich auch der Ablauf der Zeit nicht sehr stark bemerkbar.
    Tagsüber gab es immer wieder Neues zu sehen. Den zoologischen Garten zum Beispiel, ein Park voller Wunder, wie durch Zauberkraft grün und üppig in diesem heißen, trockenen Klima, wo einzigartige Tiere in Gehegen herumliefen, die so großzügig angelegt waren, daß sie überhaupt nicht wie Gehege wirkten. Hier gab es Kamele, Nashörner, Gazellen, Strauße, Löwen, Wildesel und in einträchtiger Nachbarschaft mit diesen afrikanischen Wildtieren gab es auch geflügelte Pferde, Einhörner, Basilisken und feuerspeiende Drachen mit regenbogenfarbenen Schuppen. Hatte der echte Zoo von Alexandrien Drachen und Einhörner besessen? Phillips zweifelte daran. Aber hier gab es sie; offensichtlich war es für die Handwerker hinter der Bühne nicht schwerer, Fabelwesen herzustellen als Kamele und Gazellen hervorzubringen. Für Gioia und ihre Freunde waren es ohnehin alles gleich mythische Tiere. Sie waren genauso beeindruckt von dem geflügelten Pferd wie von dem Nashorn. Keins war merkwürdiger oder weniger seltsam als das andere. Soweit Phillips feststellen konnte, hatte sich kein Säugetier oder Vogel aus seiner Zeit bis in diese herübergerettet, mit Ausnahme von ein paar Katzen und Hunden. Doch viele waren rekonstruiert worden.
    Und dann die Bibliothek! All die verlorenen Schätze, die den Fängen der Zeit entrissen worden waren! Gewaltige Marmorwände, von Säulen gestützt, hochgewölbte Lesesäle, dunkle, gewundene Regalreihen, die sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schienen. Die elfenbeinernen Griffe von siebenhunderttausend Papyrusrollen, die aus den Regalen herausragten. Gelehrte und Bibliothekare glitten leise umher mit einem wissenden Lächeln; sie waren offensichtlich mit bedeutenden geistigen Fragen beschäftigt. Phillips stellte fest, daß es ausnahmslos Temporären waren. Bloße Requisiten, Teil der Illusion. Aber waren auch die Schriftrollen Illusion? »Hier haben wir die vollständigen Werke von Sophokles«, sagte der Führer und deutete dabei mit einer Handbewegung auf zahlreiche Regale mit Texten. Nur sieben seiner hundertdreiundzwanzig Dramen hatten die wiederholten Brände der Bibliothek in alter Zeit durch die Christen, Römer und Araber überstanden. Waren die zerstörten hier, der Triptolemos , die Nausikaa , der Jason und die übrigen? Würde er hier auch, wunderbar restauriert, die anderen verschollenen Schätze der antiken Literatur finden - die Erinnerungen des Odysseus, Catos Geschichte von Rom, Thukydides’ Leben des Perikles, die fehlenden Werke des Livius? Aber als er fragte, ob er die Regale erforschen dürfte, lächelte der Führer entschuldigend und meinte, daß alle Bibliothekare im Augenblick sehr beschäftigt wären. Vielleicht ein andermal? Vielleicht, sagte der Führer. Es war sowieso gleichgültig, entschied Phillips. Selbst wenn diese Menschen auf irgendeine Weise die verlorenen Meisterwerke des Altertums zurückgebracht hätten, wie sollte er sie lesen? Er konnte kein Griechisch.
    In der Stadt herrschte lebhaftes, reges Treiben. Es war

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