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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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überhaupt unmöglich, sich während des Essens zu unterhalten, da in dem Saal ein unerwarteter Lärm herrschte. Drei Orchester spielten gleichzeitig und dazu kamen noch Gruppen fahrender Musiker, ein Strom von Mönchen und deren Begleitern marschierte ununterbrochen zwischen den Tischen vor und zurück. Sie schwenkten Räucherpfannen und sangen dabei laut Sutras zu der ohrenbetäubenden Begleitung von Trommeln und Gongs. Der Kaiser verließ seinen Thron nicht, um an dem Festmahl teilzunehmen; er schien eingeschlafen zu sein, obwohl er hin und wieder zum Takt der Musik seine Hand bewegte. Riesige, halbnackte braune Sklaven mit breiten Backenknochen und offenstehenden Mündern trugen das Essen auf: Pfauenzungen und Brust vom Phönix, die auf Berge von leuchtend saffranfarbenem Reis gehäuft waren und in zerbrechlichen Alabasterschalen serviert wurden. Als Eßstäbchen dienten dünne Stäbe aus dunkler Jade. Der Wein, der in schimmernden Kristallkaraffen ausgeschenkt wurde, war schwer und süß, mit einem Nachgeschmack von Rosinen, und keine Karaffe durfte länger als einen Augenblick leer bleiben.
    Phillips fühlte, wie alles begann, sich um ihn zu drehen. Als die persischen Tänzer auftraten, konnte er nicht sagen, ob es fünf waren oder fünfzig, und als sie ihre berühmten komplizierten, wirbelnden Figuren vorführten, schien es ihm, als würden ihre schlanken musselinverhüllten Körper ineinander verschwimmen. Ihre Geschicklichkeit wirkte auf ihn bedrohlich, er wollte wegschauen, konnte es aber nicht. Die Jongleure aus Chung-Nan, die ihnen folgten, waren gleichermaßen gewandt, gleichermaßen beunruhigend; sie wirbelten Sensen durch die Luft, brennende Fackeln, lebende Tiere, seltene Porzellanvasen, rosa Jadebeile, silberne Glocken, vergoldete Becher, Wagenräder, Bronzegefäße, und sie griffen nie daneben. Die Bürger applaudierten höflich, schienen aber nicht sehr beeindruckt zu sein. Nach den Jongleuren kehrten die Tänzer zurück, diesmal auf Stelzen, die Diener brachten Platten voll mit dampfendem Fleisch, das eine blasse, lavendelfarbene Tönung besaß und in Geschmack und Beschaffenheit fremdartig war, Filet vom Kamel vielleicht oder Hüfte vom Nilpferd oder möglicherweise ein ausgewähltes Stück von einem jungen Drachen. Es gab mehr Wein. Phillips versuchte schwach abzuwinken, aber die Bediensteten waren unerbittlich. Es war eine trockenere Sorte, grünlich-golden, herb und scharf auf der Zunge. Gleichzeitig wurde eine stark gekühlte silberne Schüssel aufgetragen, die geschabtes Eis enthielt, das mit einem starken, rauchig schmeckenden Brandy aromatisiert war. Er sah, daß die Jongleure noch eine zweite Vorstellung gaben. Plötzlich hatte er das Gefühl, daß ihm übel würde. Hilfesuchend blickte er sich nach Gioia um, die nüchtern, aber sehr aufgewühlt zu sein schien, beinahe besessen, ihre Augen glühend wie Rubine. Sie berührte liebevoll seine Wange.
    Ein kalter Luftzug wehte durch die Halle. Man hatte eine ganze Wand geöffnet, um den Blick auf den Garten, die Nacht und die Sterne frei zu geben. Direkt draußen stand ein riesiges hölzernes Rad, das mit geöltem Papier bespannt war. Sie mußten es in der vergangenen halben Stunde aufgebaut haben. Es war mindestens einhundertundfünfzig Fuß hoch, und daran hingen Tausende von Laternen, die wie übergroße Glühwürmchen leuchteten.
    Die Gäste begannen, die Halle zu verlassen. Phillips ließ sich mit dem Strom in den Garten treiben, wo unter einem gelben Mond fremdartige Bäume mit festen schwarzen Nadeln ihre gekrümmten Äste in den Himmel reckten. Gioia schob ihren Arm unter seinen. Sie gingen hinunter zum See, aus dessen karmesinroten Fluten Luftblasen aufstiegen, und beobachteten scharlachrote flamingoähnliche Vögel, die zehn Fuß hoch waren. Sie spießten türkisfarbene Aale mit zornigen Augen auf, die sie sorgfältig auswählten. Gioia und Phillips standen ehrfürchtig vor einem dickbäuchigen Buddha aus blauem Kachelwerk, siebzig Fuß hoch. Ein Pferd mit einer goldenen Mähne bäumte sich vor ihnen auf und rannte vorüber; Schauer von glitzernden roten Funken stoben empor, wo immer seine Hufe den Boden berührten. In einem Hain voller Zitronenbäume, die die Fähigkeit zu haben schienen, ihre schlanken Äste aus eigenem Antrieb zu bewegen, traf Phillips den Kaiser, der abseits stand und langsam auf der Stelle vor- und zurückwiegte. Der alte Mann ergriff Phillips bei der Hand und drückte ihm etwas in die Handfläche, wobei er

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