anderbookz Short Story Compilation II
eine Weile am Pavillon umher, bewunderte die klingelnden Gehänge aus grüner Jade, die in der Halle baumelten, die glänzenden, kastanienbraunen Säulen, die Regenbogenfarben der kompliziert miteinander verbundenen Balken und Träger, durch die das Dach gestützt wurde. Dann, seiner Einsamkeit überdrüssig, näherte er sich dem Bambusvorhang am Eingang zu Gioias Suite. Ein Türhüter und eines der Mädchen standen gleich dahinter. Sie machten ihm Zeichen, nicht einzutreten, aber er blickte sie streng an, und sie schmolzen vor ihm dahin wie Schneeflocken. Eine Spur von Düften führte ihn durch den Pavillon bis zu Gioias Ankleidezimmer. Dort blieb er direkt vor der Tür stehen.
Gioia saß nackt mit dem Rücken zu ihm an einem verzierten Frisiertisch aus seltenem, flammenfarbenem Holz, in das Streifen von orangem und grünem Porzellan eingelegt waren. Sie betrachtete sich sehr genau in einem Spiegel aus polierter Bronze, den eine ihrer Dienerinnen hielt, dabei durchwühlte sie ihr Haar mit den Fingernägeln, so wie es eine Frau tun mochte, die nach grauen Haaren suchte.
Aber das schien ihm unmöglich. Graue Haare bei Gioia? Bei einem Bürger? Ein Temporäre mochte Zeichen des Alters vorweisen, aber sicher kein Bürger. Die Bürger blieben ewig jung. Gioia sah wie ein junges Mädchen aus. Ihr Gesicht war glatt und faltenlos, ihr Fleisch war fest, ihr Haar dunkel; das war bei allen so, bei jedem Bürger, den er gesehen hatte. Und dennoch gab es keinen Zweifel daran, was Gioia tat. Sie fand ein Haar, runzelte die Stirn, zog es straff, nickte und riß es aus. Ein weiteres und noch eins. Sie drückte die Fingerspitzen auf die Wangen, zog an der Haut unter ihren Augen und zog sie nach unten, als wollte sie die Festigkeit und Elastizität prüfen. Diese kleinen Gesten der Eitelkeit waren ihm vertraut und wirkten hier dennoch sehr befremdend auf ihn. In dieser Welt der ewig Jungen machte sich Gioia Sorgen darüber, alt zu werden? Hatte er die beginnenden Anzeichen einfach übersehen? Oder arbeitete sie hinter seinem Rücken hart daran, sie zu verbergen? Vielleicht war es das. War er also über die Bürger im Irrtum? Alterten sie genauso, wie es die Menschen in weniger glücklichen Zeiten getan hatten, und kannten sie nur bessere Methoden, das zu verstecken? Wie alt war sie wirklich? Dreißig? Sechzig? Dreihundert?
Gioia schien nun zufriedengestellt. Sie winkte den Spiegel fort, erhob sich und gab ein Zeichen, daß man ihre Garderobe für das Bankett brachte. Phillips, der immer noch in der Tür stand, betrachtete sie voller Bewunderung: die schmalen, runden Hüften, fast jungenhaft, die elegante Linie ihres Rückens, die überraschende Breite ihrer Schultern. Nein, dachte er, sie altert nicht. Ihr Körper ist immer noch der eines jungen Mädchens. Sie sah so blühend aus wie an dem Tag, an dem sie sich das erste Mal begegnet waren, gleichgültig, wie lange das jetzt her sein mochte. Er wußte es nicht. Es war schwer, hier den Ablauf der Zeit zu verfolgen, aber er war sicher, daß seitdem einige Jahre vergangen waren. Die grauen Haare, die Falten und die erschlaffte Haut, nach denen sie gerade eben mit derartig verzweifelter Hingabe gesucht hatte, mußten schlichte Einbildung ihrer Eitelkeit sein. Selbst in dieser entlegenen Zukunft war Eitelkeit also noch nicht ausgestorben. Er fragte sich, warum sie die Furcht vor dem Alter so betroffen machte. Eine Laune? Machten sich all diese zeitlosen Menschen einen eigenartigen Spaß daraus, sich vorzustellen, daß sie alt würden? Oder war es Gioias ureigenste Angst, ein weiteres Zeichen dieser geheimnisvollen Depression, die sie in Alexandrien gepackt hatte?
Er wollte nicht, daß sie dachte, er spioniere ihr nach, da er nur beabsichtigt hatte, ihr einen Besuch abzustatten, und darum schlich er sich leise davon, um sich für den Abend umzuziehen. Eine Stunde später kam sie zu ihm, prachtvoll gekleidet, vom Kinn bis zu den Knöcheln in leuchtend bunten Brokat gehüllt, der mit Goldfäden durchwirkt war. Ihr Gesicht war geschminkt, ihr Haar streng hochgekämmt und mit Elfenbeinkämmen festgesteckt, sie war ganz die große Dame des Hofes. Seine Diener hatten auch ihn herrlich ausstaffiert. Er trug ein glänzend schwarzes Chorhemd, bestickt mit goldenen Drachen über einem bodenlangen Gewand aus schimmernder, weißer Seide, Halsband und Ohrgehänge aus roten Korallen, und einen fünfeckigen, grauen Filzhut, der wie ein Zikkurat aufgetürmt war. Gioia berührte lächelnd seine Wange
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