anderbookz Short Story Compilation II

sie: »Also, was ist nun, sollen wir gehen, wir beide? Nach Mohenjo-daro?«
    »Natürlich«, sagte Phillips rauh.
    »Wann möchtest du abreisen?«
    »Heute abend.« Er überlegte einen Moment. »Was ist ein Kurzzeitler, Belilala?«
    Ihre Wangen röteten sich. »Ist das nicht klar?« fragte sie.

    Gab es je einen häßlicheren Platz auf der Oberfläche der Erde als die Stadt Mohenjo-daro? Phillips konnte es sich nur schwer vorstellen. Er konnte auch nicht verstehen, warum diese Menschen ausgerechnet diese Stadt ins Leben gerufen hatten. Sie erschienen ihm fremder als sonst, unergründlich und unverständlich.
    Von der Terrasse über der Stadt mit den unzähligen Türmen schaute er hinunter in das abstoßende, Platzangst verursachende Mohenjo-daro und schüttelte sich. Die kahle, trostlose Stadt war mit nichts treffender zu vergleichen als mit einer prähistorischen Strafkolonie. Sie kauerte sich geduckt wie eine verängstigte Schildkröte in die graue, eintönige Ebene des Indus: Meilen von dunklen, gebrannten Ziegelmauern, die wiederum Meilen von erschreckend regelmäßigen Straßen einschlossen, welche ein beeindruckendes, monströses Netzmuster von krankhafter Strenge bildeten. Die Häuser selbst waren düster und abweisend, Trauben gemauerter Zellen, die sich um schmale, muffige Innenhöfe drängten. Es gab keine Fenster, nur enge Türen, die nicht auf die Hauptstraßen hinausgingen, sondern auf die winzigen, geheimnisvollen Gassen, die zwischen den Gebäuden verliefen. Wer hatte diese entsetzliche Stadt geplant? Was für harte, verbitterte Seelen hatten jene gehabt, dieses erschreckende und verängstigte Volk, das in der üppigen, fruchtbaren Ebene Indiens ein derartiges Gefängnis von einer Stadt errichtet hatte!
    »Wie schön es ist«, murmelte Belilala. »Wie faszinierend!«
    »Faszinierend? Ja«, sagte er. »Ich denke schon. Genauso faszinierend wie das Lächeln einer Kobra.«
    »Was ist eine Kobra?«
    »Eine giftige, räuberische Schlange«, erklärte Phillips. »Vermutlich ausgestorben. Oder ehemals ausgestorben, das ist wahrscheinlicher. Es würde mich nicht überraschen, wenn dein Volk ein paar von ihnen wiedererschaffen hätte und sie in Mohenjo los ließe, um ein bißchen Leben in das Ganze zu bringen.«
    »Du klingst so verärgert, Charles.«
    »Wirklich? So fühle ich mich gar nicht.«
    »Wie fühlst du dich dann?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er nach einer langen Pause. Er zuckte mit den Schultern. »Verloren, glaube ich. Weit weg von zu Hause.«
    »Armer Charles.«
    »Hier zu stehen, zwischen den häßlichen Baracken dieser Stadt und dabei von dir zu hören, wie schön alles ist - ich glaube, ich habe mich nie in meinem Leben einsamer gefühlt.«
    »Du vermißt Gioia sehr, nicht wahr?«
    Er sah sie erneut verwirrt an.
    »Gioia hat damit gar nichts zu tun. Sie hat vielleicht einen genauso ekstatischen Ausbruch gehabt angesichts dieser Lieblichkeit von Mohenjo-daro. So wie ihr alle. Ich nehme an, ich bin der einzige, der dort hinausschaut und nur Entsetzen erblickt und sich dann wundert, warum kein anderer das sehen kann, warum die Menschen so einen Ort zur Unterhaltung und zum Vergnügen errichten.«
    Ihre Augen blitzten. »Oh, du bist wütend. Du bist tatsächlich wütend!«
    »Fasziniert dich das auch?« fuhr er sie an. »Eine Demonstration echter, primitiver Emotionen? Ein altmodischer Gefühlsausbruch, typisch 20. Jahrhundert?« Er ging den Wall entlang mit kurzen, schnellen Schritten, die seine Qual ahnen ließen. »Aha. Ich glaube, ich verstehe jetzt, Belilala. Natürlich, ich bin ein Teil in eurem Zirkus, der Star der Nebenvorstellung. Ich bin das erste Experiment beim Aufbau der nächsten Bühne.« Ihre Augen waren geweitet. Die plötzliche Schärfe und Heftigkeit in seiner Stimme schienen sie gleichzeitig aufzuschrecken und zu fesseln. Das ärgerte ihn noch mehr. Erbittert fuhr er fort: »Ganze Städte aus der Zeit zu holen war ja für eine Weile ein netter Spaß, aber dem fehlt die Echtheit, nicht? Aus irgendeinem Grunde konntet ihr die Menschen nicht mitnehmen; ihr konntet nicht einfach ein paar prähistorische Menschen aus Ägypten oder Griechenland oder Indien herausreißen und sie in diese Zeit hineintauchen. Vermutlich hätte es euch zu viel Mühe bereitet, sie alle zu kontrollieren, oder vielleicht hättet ihr auch das Problem gehabt, sie wieder loszuwerden, wenn sie ihren Reiz für euch verloren hätten. Also habt ihr die Temporären schaffen müssen, die eure alten Städte