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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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bevölkern. Aber jetzt habt ihr auch mich. Ich bin etwas, das echter ist als die Temporären, und das ist eine aufregende Neuheit für euch, und Neuheiten, das ist das einzige, wonach ihr strebt. Und hier bin ich nun - kompliziert, unberechenbar, kratzbürstig, fähig zur Wut, Angst, Trauer und Liebe und all den anderen früher ausgestorbenen Gefühlen. Warum sich mit farbenprächtiger Architektur zufriedengeben, wenn man auch pittoreske Emotionen beobachten kann? Was für ein Spaß muß ich für euch alle sein! Und wenn ihr entschieden habt, daß ich wirklich ein interessanter Typ bin, werdet ihr mich vielleicht dahin zurückschicken, wo ich hergekommen bin, und ein paar andere antike Figuren aussuchen - einen römischen Gladiator, vielleicht, oder einen Papst aus der Renaissance oder sogar ein oder zwei Neandertaler!«
    »Charles«, sagte sie zärtlich. »Oh, Charles, Charles, wie einsam mußt du sein, wie verloren, wie unglücklich! Kannst du mir je verzeihen? Kannst du uns allen je verzeihen?«
    Er war überrascht. Sie klang völlig ernst, ganz und gar mitfühlend. War sie das? War sie das wirklich? Er war sich nicht sicher, er hatte nie vorher bei einem von ihnen ein Zeichen echter Anteilnahme gefunden, nicht einmal bei Gioia. Er konnte sich nicht überwinden, Belilala zu vertrauen, konnte seine Angst vor ihr nicht überwinden, diese Angst vor ihnen allen, vor ihrer Zerbrechlichkeit, ihrer Schläue, ihrer Eleganz. Er wünschte, er könnte jetzt zu ihr gehen und sie dazu bringen, daß sie ihn in die Arme nahm, aber er fühlte sich im Augenblick zu sehr als struppiger Urmensch, um in das Risiko eingehen zu können, diesen Trost jetzt von ihr zu erbitten.
    Er wandte sich ab und ging langsam auf der Krone der dicken Zitadellenmauer weiter.
    »Charles?«
    »Laß mich einen Augenblick allein«, sagte er.
    Er wanderte weiter. Hinter seiner Stirn hämmerte es, und sein Herz klopfte heftig. Alle Stress-Systeme laufen auf vollen Touren, dachte er, verborgene Drüsen schütten ganze Gallonen voll aufreizender Substanzen in den Blutstrom, die Hitze, der innere Aufruhr, das unfreundliche Aussehen dieses Ortes.
    Versuch es zu verstehen, sagte er sich. Entspanne dich, sieh dich um. Versuch, deine Ferien in Mohenjo-daro zu genießen.
    Er lehnte sich vorsichtig über die Kante der Mauer. Er hatte nie zuvor eine solche Mauer gesehen, sie mußte an der Basis 40 Fuß dick sein, vielleicht sogar mehr - und jeder Stein war perfekt geformt, peinlich genau eingepaßt. Jenseits des großen Walls reichte das Sumpfland fast bis an den Rand der Stadt, doch hier, dicht an der Mauer, war das Moor eingedämmt und für die Landwirtschaft trockengelegt worden. Er sah flinke Bauern mit brauner Haut dort unten, die mit ihrem Weizen, ihrer Gerste und ihren Bohnen beschäftigt waren. Rinder und Büffel grasten ein Stück weiter draußen. Die Luft war schwer, kalt und feucht. Alles war still. Nur irgendwo in der Nähe erklang der Ton eines summenden, wimmernden Instruments und dazu gleichmäßiger, eindringlicher Gesang.
    Allmählich überkam ihn ein Gefühl des Friedens. Sein Zorn verrauchte. Er fühlte, wie er wieder ruhiger wurde. Er blickte zurück auf die Stadt, die geraden, untereinander verbundenen Straßen, den Irrgarten der inneren Gassen, die Millionen Linien in dem akkuraten Ziegelwerk.
    Es ist ein Wunder, sagte er sich, daß diese Stadt hier an diesem Ort und in dieser Welt existiert. Und es ist ein Wunder, daß ich hier bin, um sie zu sehen.
    Einen Augenblick lang war er von dem Zauber innerhalb der Trostlosigkeit ergriffen. Er vermeinte, Belilalas Ehrfurcht und Freude zu verstehen, und er wünschte jetzt, er hätte nicht so hart mit ihr gesprochen. Die Stadt lebte. Ob es das wirkliche Mohenjo-daro von vor Tausenden von Jahren war, das an einem geheimnisvollen Haken der Vergangenheit entrissen worden war, oder einfach eine gelungene Reproduktion, spielte keine Rolle. Real oder nicht, dies war das wahre Mohenjo-daro; es war tot gewesen und jetzt, für den Augenblick, wieder zum Leben erwacht. Diese Menschen, diese Bürger, mochten selbst unbedeutend sein, aber Mohenjo-daro zu rekonstruieren, war eine großartige Leistung. Und daß die wiedererschaffene Stadt sich bedrückend und finster präsentierte, war unwichtig. Niemand wurde mehr gezwungen, in Mohenjo-daro zu leben. Diese Zeit war schon lange vorbei. Diese kleinen, dunkelhäutigen Bauern, Handwerker und Händler dort unten waren bloß Temporären, nur belebte Gegenstände, die wie

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