anderbookz Short Story Compilation
haben waren. Unter den älteren Zuschauern, die an diesem Sonntagabend das vergnügliche Fernsehprogramm verfolgten, war die neunzigjährige Mrs. Wassermann. Sie war einigermaßen bekümmert, weil sich bei ihr Kanal 5 nur dann fixieren ließ, wenn sie unmittelbar neben dem Apparat saß und einen leichten, im Uhrzeigersinn gerichteten Druck auf den Wählerknopf ausübte, was keiner sonderlichen Anstrengung bedarf, aber sehr ermüdend war sowohl für Mrs. Wassermanns Augen als auch für ihre Hand. In ihrer Brust sammelte sich Frust, das Gefühl ungerechter Behandlung, und als dann Susan und Billy ihre Stimmen erklingen ließen und ›Sitz nicht unterm Apfelbaum‹ vortrugen, verdichtete sich ihr Ärger zu einer Willensanstrengung und Resolution: Morgen muß was daran gemacht werden!
Und so - wir rücken wieder vor auf den 15. - ging Mrs. Wassermann zur Nachbarschaftsfürsorge, wo sich zur selben Zeit auch Ormond Brown aufhielt, der dort seine N.Y.C.R.-Checkliste in Empfang nahm, um die Runde durch Aufenthaltsräume diverser Heime und städtischer Einrichtungen anzutreten und seine Dienste anzubieten. Ormond war, wenn man so will, eine Art elektronische Vorhut, besaß mittelmäßigen Sachverstand und verdiente entsprechend wenig. Sein Fachwissen hatte er bei der Armee erlernt und mit der Zeit verfeinert, um den Fernsehapparat seines Wohnheims warten zu können. Mrs. Wassermann drückte die für ihr Anliegen gültige Codenummer. Auf der Anzeigetafel leuchteten die hellroten Digitalziffern 47-D auf. Ormond registrierte wenig später, daß mit dieser Rufnummer seine Person gefragt war, und ging an den Schalter, um seine Dienste anzubieten.
Draußen in der Halle erzählte Mrs. Wassermann dem Helfer ihre traurige Geschichte, eine Geschichte, die nicht oft genug wiederholt werden konnte. Oh, das Handgelenk, und die Augen ... noch schlimmer, wenn eine Steigerung überhaupt möglich sei. Ormond zeigte Verständnis, blieb aber ganz geschäftsmännisch. Offenbar mußte der Senderwahlknopf ausgewechselt werden. Ein paar Stunden Wartezeit an der Ersatzteilausgabe und dann noch eine Viertelstunde für den Einbau.
Seine Diagnose bestätigte sich in Mrs. Wassermanns Wohnung, wo eine riesige, flach ausgestreckte Plastikhand von der Wohnzimmerwand aus einen Meter weit in den Raum hineinragte, was Ormond natürlich sofort ins Auge fallen mußte. Sie nahmen unter der Hand auf Kissen Platz, um die Angelegenheit durchzusprechen. Dabei tranken sie eine Tasse Tee, der, um nach Ormonds Geschmack zu urteilen, aus Sperrholz gebraut zu sein schien. Mrs. Wassermann wollte die Reparatur per Scheck bezahlen, da die Fürsorge offenbar jeder Dollarnote nachspürte, die man auszugeben versuchte. Nein, Ormond war nur an einer hors de commerce -Zahlung interessiert, was Französisch ist und soviel heißt wie ›vertraulich‹. Wie wär’s mit drei Unzen Gras? schlug er vor. Mrs. Wassermann kannte natürlich die damit verbundenen Probleme und fand drei Unzen ziemlich happig. Sie hob hervor, daß sie zusätzlich zu Ormonds Lohn noch vierzig Dollar bezahlen müßte für dieses Dingsbums. Die beiden einigten sich auf zwei Komma vier Unzen, und für Mrs. Wassermann blieb jetzt nur noch die eine Frage offen, wie sie das Zeug beschaffen sollte.
Zu dieser Frage fiel ihr bloß die Nachbarin von unten ein. Miss Horner hatte ihr schon bei früheren Tauschgeschäften geholfen. Sie war Mitglied der berühmten New Yorker Poesieschule, hatte es früher zwar nie zur Prominenz gebracht, spielte aber heute allein schon aufgrund ihrer Langlebigkeit eine immer bedeutendere Rolle in diesem Verein. Ihre Wohnung glich einem kleinen Museum alter Offset-Titelbilder und Fotos bedeutender Poeten und Poetinnen vergangener Tage. Dank einer kleinen Beihilfe und der extrem limitierten Wiederauflage bzw. Erstausgabe eigener Werke hielt Miss Horner den Kopf über Wasser, wenn auch nur sehr knapp. Hätte sie Lesungen oder Unterricht geben können, wäre ihr Einkommen natürlich besser gewesen, aber leider war sie invalide und Rheuma-Gefangene in ihrer 2½-Zimmer-Wohnung, die sie mit einer übel riechenden Katzenfamilie und ihrem schwergewichtigen Lebenserhaltungssystem, einem Vervielfältigungsapparat, teilte.
Mrs. Wassermann, die für ihr Alter geradezu hyperkinetisch war, erledigte für Miss Horner alle notwendigen Botengänge nach draußen, und eben darin (nämlich in Miss Horners nie beglichenen Schulden) lag die Möglichkeit, den Fernseher reparieren zu lassen. Ormond und Mrs.
Weitere Kostenlose Bücher