anderbookz Short Story Compilation
Wassermann stiegen die belebte Treppe nach unten und klopften. Ormond wurde vorgestellt als ›mein junger Freund‹ und Miss Horner um Hilfe gebeten. »Oh, das tut mir leid, Mrs. Wassermann, ehrlich. Ich würde Ihnen ja gerne helfen, habe aber das, was Sie wollen, nicht im Haus.« Sie war aber in der Lage, die Hoffnung nicht ganz versiegen zu lassen, denn sie kannte jemanden, der möglicherweise was hätte und der, wenn dies der Fall wäre, überglücklich sein würde, ein paar Unzen einzutauschen gegen ... (Miss Horner wühlte durch einen Stapel Papiere unter ihrem Bett) ... gegen die erste Nummer des Kämpffers , eines linken Schwulenmagazins von der Westküste aus dem Jahre 1976. Für ein so wertvolles Blatt bloß billige zwei Komma vier Unzen zu verlangen, erschien Miss Horner dann doch zu wenig, und deshalb schlug sie vor, daß Ormond oder Mrs. Wassermann (wer auch immer den Tausch nun eingehen wollte) eine Gallone Yoghurt mitbringen möge, weil die bewußte Person in ihrem Hotelzimmer sehr guten Yoghurt herstellte, in Heimarbeit sozusagen.
Ormond und Mrs. Wassermann machten sich gemeinsam auf den Weg zum Hotel Dixie, wo diese Person wohnte. Genaugenommen hätte Ormond gar nicht mitzugehen brauchen, aber er wußte nichts Besseres zu tun und fing außerdem an, sich für den Mikrokosmos der lebendigen Literatur, in die er hineingestolpert war, zu interessieren. Als sie im Dixie nach der gewünschten Person (Marvin Maloney, Zimmer 1432) verlangten, sagte der Portier, daß dieser Herr bedauerlicherweise keine Antwort gebe, und schien sich wirklich Sorgen zu machen. Ein netter Mann, dieser Portier.
Während sie in der Halle warteten, schaute Mrs. Wassermann über die hoteleigene Videoüberwachung zu, wie die Leute in den verschiedenen Zimmern vögelten. Es machte ihr Spaß, auf eine Mattscheibe zu blicken, ohne das Bild festhalten zu müssen, und außerdem war es immer wieder vergnüglich, jungen Leuten beim Vögeln zuzusehen. Mit Blick auf den Bildschirm, auf dem gerade ein neues Pärchen auftauchte, sagte der Pförtner, daß der darauf zu erkennende Junge derjenige sei, den sie suchten. Gut zu wissen, daß er sich im Hotel aufhielt.
Ormond blätterte durch den Kämpffer , las sogar ein paar Abschnitte, was für Ormond ziemlich ungewöhnlich war, da er sich selber für post-literarisch hielt. Ihm fiel die Vorstellung schwer, daß es die Vergangenheit wirklich einmal gegeben hatte, daß Menschen darin eingeschlossen waren wie Mafiosi im Beton oder Ritter in ihrer Eisenrüstung. Wie im Kämpffer zu lesen stand, waren in jenen barbarischen Zeiten doch tatsächlich Leute verhaftet worden, nur weil sie in der Abgeschiedenheit einer Tankstellentoilette in Berkeley auf Partnersuche gingen, oder wegen der Lächerlichkeit eines Unzens Gras für fünf Jahre ins Gefängnis geworfen wurden. Legal waren damals offenbar nur die Heirat und das Lesen von Büchern gewesen (von denen viele in der Kritikerspalte des Kämpffers mächtig verrissen wurden). Schuld? Angst? Schuld war für Ormond kein Fremdwort, der in einem seiner unbeherrschten Wutanfälle den besten Freund umgebracht hatte. Aber wie konnte man sich denn schuldig für etwas fühlen, das zum Leben notwendig war: wie zum Beispiel die tägliche Ration Gras, ein befriedigender Fick oder das Mittagessen? Wie konnten die Leute in der Vergangenheit sowas ertragen?
Nach Ormonds Ansicht gab es noch eine Merkwürdigkeit im Hinblick auf die Vergangenheit, und zwar die Unart, daß die Leute damals die Regierung als ihren Feind ansahen. Sie beklagten sich nicht bloß über Steuern und dergleichen, sondern legten auch eine ausgesprochene Treulosigkeit an den Tag, die Ormond ein wenig schockierend fand. Er war zwar nicht gerade ein Patriot, verstand sich aber doch als durchschnittlich guter Bürger. Er hatte seine Grundausbildung in Arizona absolviert, in Kolumbien gekämpft und Fernseher zu reparieren gelernt, und zwar in der Akademie von West Point, die längst nicht mehr nur der Elite vorbehalten blieb. Während des letzten Wahlkampfes hatte er die Wiederwahl von Senator Calley unterstützt. Er war stolz auf seine rosafarben-schwarze Uniform des Corps für Reklamationen und fand Gefallen daran, bei den Nachbarschaftsparaden mitzumarschieren. Kurzum: Auch wenn er sein Land nicht wirklich liebte, sah er doch keinen Grund, die Hand zu schlagen, die ihm alle zwei Monate den Scheck ausstellte, und solange ihm diese Hand nicht an den Kragen ging, würde auch er friedlich bleiben.
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