Andere tun es doch auch (German Edition)
werde wieder zu meiner Parkbank gehen und mir in aller Ruhe überlegen, wie ich es vor Frau Klapphorst, der Chefin des Deutschlandbüros der internationalen Stararchitektin Amélie Bleudkinon, rechtfertigen kann, einen Tag vorher ein Geschäftsessen mit ihr verschieben zu wollen. Und dann rufe ich sie an. Jawohl, so wird es gemacht.
Ich nehme mir Charles Schumanns Barbuch, gehe zur Kasse und bezahle. Merkwürdig. Dafür, dass ich gleich einen Brandsatz in mein Büro werfen werde, bin ich ziemlich entspannt.
L ARA Okay, bei Adrian habe ich noch jede Menge Gelegenheiten, es wiedergutzumachen, bei Kai nicht. Hat er zwar überhaupt nicht verdient, dass er jetzt doch den Zuschlag für Mittwoch kriegt, aber es ist ja nur ein Abend. Und Grün wie die Liebe begleitet von authentischen, professionell gemixten Drinks zu gucken, ist wirklich was Besonderes. Außerdem, Adrian kann zur Abwechslung auch mal eine Absage von mir vertragen.
Na komm, geh schon ran.
»Hallo?«
Oh nein, nicht schon wieder.
»Hallo, hier ist Lara. Ist Adrian da?«
»Der sitzt gerade auf dem Klo. Und soll ich dir was sagen? Er hat schon wieder sein Handy in der Schmutzwäsche vergessen. Ich werde nochmal verrückt mit dem Jungen.«
Ich habe mich immer noch nicht dran gewöhnt, dass Adrians Mutter immer an sein Handy geht, wenn sie bei ihm ist, um seine Wäsche zu waschen. Und ich schaffe es, immer genau dann anzurufen.
»Wissen Sie, wie lange der jetzt schon auf dem Klo sitzt, Lara? Zwanzig Minuten! Ich mache mir wirklich Sorgen. Als Kind hatte er mal eine interborimentäre Harnwegsdystrose und …«
»Ach was, der liest nur Comics. Macht er bei mir auch immer.«
» ADRIAN! MACH MAL HINNE! DEINE LARA IST DRAN! «
Ich bin überzeugt, irgendwas in mir hätte mir ein Zeichen geben können, dass jetzt ein ganz übler Zeitpunkt ist, anzurufen. Nur ist mir dieses Irgendwas aus irgendeinem Grund nicht wohlgesonnen.
»Butzi! Was geht?«
»Hallo Adrian, du, ich wollte nur sagen, wegen morgen Abend, also, das konnte ich mir leider doch nicht freischaufeln … weil, na ja, echt doof, aber da habe ich so eine, hm, Fortbildungsveranstaltung. Neoexpressionistische Tendenzen im irischen Film der achtziger Jahre unter besonderer Berücksichtigung des Aspekts Alkohol . Sehr spannendes Thema und ein hervorragender Referent, den man nicht so oft sieht, weißt du?«
»Verstehe, verstehe. Finde ich gut, dass du Fortbildung machst. Musst ja schließlich jetzt gucken, wo neue Chancen für dich liegen. Weißt du, ich zum Beispiel … Moment … Ja, Mama! … Du, ich muss kurz Schluss machen. Wir telefonieren später nochmal, ja?«
K AI »Ja, Onkel Karl. Du, ich muss Schluss machen. Ich muss nämlich noch ein ganz wichtiges Gespräch führen, sonst ist es endgültig zu spät. Ich ruf dich später nochmal an, ja?«
»Brauchst du nicht.«
»Mach ich aber. Und du baust bitte inzwischen keinen Mist, versprochen?«
»Ich weiß nicht, was du meinst, Junge.«
»Bis gleich, Onkel Karl.«
Okay. Kurz runterkommen. Wie praktisch, dass ich gerade an der Parkbank vorbeigehe, auf der ich vorhin schon gesessen habe. Ich atme tief ein und gucke zu einer Stelle, bei der ich nur tiefes, saftiges Grün sehe.
Großonkel Karl.
Der liebste Mensch der Welt. Kriegt eben nur ab und zu seinen Rappel. Und dann klingelt mein Handy. Entweder er oder, schlimmer, die Leitung des im Moment aktuellen Altersheims, aus dem er gerade rauszufliegen droht. Ich kann gut mit ihm reden. Wir haben den perfekten Draht zueinander. Er war der Einzige, der früher mit mir klarkam, wenn ich als bockiges Kleinkind meinen Rappel hatte, und jetzt bin ich der Einzige, mit dem er spricht, wenn er seinen Rappel hat. Fair aufgeteilt. Und mit dem Anrufzeitpunkt habe ich gerade wirklich noch Glück gehabt. Normal wäre gewesen, wenn der Großonkel-Karl-Anruf mitten in mein Abendessen mit Frau Klapphorst hineingeplatzt wäre. Aber das kann ja noch kommen.
Viel schwieriger, als mit ihm zu sprechen, sind übrigens die Gespräche mit den Altersheimverwaltungen. Ich rede mir dauernd den Mund fusselig, damit sie verstehen, wo die Ursachen für Großonkel Karls Rappelphasen liegen und warum er nicht in die Psychiatrie gehört. Ein Mal habe ich es sogar geschafft, einen von diesen Bürokraten mit in das Museum für Verkehr und Technik zu schleifen, damit er versteht, was genau los ist. Wie der zuerst mit den Augen gerollt hat. Und wie die Augen auf einmal mit dem Rollen aufgehört haben und vor
Weitere Kostenlose Bücher