Andere tun es doch auch (German Edition)
Briefkasten.«
»Also wirklich, Herr Frickel, deswegen bin ich jetzt …«
»Soll ick nächstes Mal lieber die Heimleitung rausklingeln?«
»Ähm, nein.«
S AMSTAG
K AI Samstag elf Uhr ist eine großartige Zeit. Ich habe gefrühstückt, die Zeitung gelesen und genieße das atemberaubende Gefühl, dass alle nennenswerten Schuhgeschäfte der Stadt jetzt offen haben. Alle paar Wochen breche ich zu dieser Stunde auf, um zwei oder drei von ihnen zu besuchen. Schon die Zeit, die ich damit verbringe, um den Savignyplatz herumzukurven und einen Parkplatz zu suchen, ist ein einziges Fest der Vorfreude. Ganz zu schweigen vom anschließenden Spaziergang Richtung Bleibtreustraße und Ku’damm, bei dem ich meine Füße so langsam voreinander setze, dass die Leute mich manchmal für einen Aktionskünstler halten.
Heute ist es natürlich anders. Ich brauche ein Paar neue cognacbraune Fullbrogue Oxfords. Die, die ich gestern getragen habe, möchte ich nicht mehr anziehen. Es können noch so erlesene Schmuckstücke sein, sie erinnern mich viel zu sehr an Lara und den furchtbaren Abend. Nicht nur, dass sie sich in Luft aufgelöst hatte, als ich zurückkam, sie hatte mir auch keine Nachricht hinterlassen, nicht einmal eine SMS . Der Restaurantchef berichtete mir, dass sie gleich nach meinem Verschwinden am Tisch eingeschlafen sei. Nachdem die Bedienung sie vorsichtig aufgeweckt hatte, hat sie sich nur kurz die Augen gerieben und ist dann sofort gegangen. Da war nichts mehr zu machen. Ich bin auch nach Hause, habe mir aufs Geratewohl zwei kräftige Drinks gemixt und konnte dann schlafen.
Was bin ich für ein Trottel. Zwei, drei kurze Sätze, dass ein Verwandter in Schwierigkeiten steckt und so weiter, hätten doch gereicht, und Lara hätte es verstanden. Aber ich muss natürlich gleich in Panik geraten. Warum eigentlich? Ich bin sonst nicht so. Selbst damals, als ich abends den Anruf gekriegt habe, dass auf der Baustelle Katzbachstraße die Geschossdeckenschalung eingestürzt ist, habe ich noch in Ruhe zu Ende gegessen, bevor ich hingefahren bin.
Andererseits, wenn es um Menschen geht, ist es natürlich was anderes … Oder war es am Ende keine Panik? War es mir peinlich, über Großonkel Karl zu reden? Das sollte es nicht sein. Jeder, dem man die ganze Geschichte von Großonkel Karl erzählt, und den man am besten anschließend zur Untermalung ins Museum für Verkehr und Technik führt, versteht es.
Okay, dafür war gestern natürlich keine Zeit.
»Kann ich Ihnen helfen, oder gucken Sie bloß?«
Wer ist denn das? Ich habe ja kein Problem damit, dass sie bei Scholenbach Klassisches Schuhwerk neue Mitarbeiterinnen beschäftigen, aber bei ihr hier habe ich sofort ein komisches Gefühl. Ich sehe mich ängstlich um, doch von Frau Scholenbach oder Herrn von Kannstadt, die mich sonst immer bedienen, ist nichts zu sehen. Und das ausgerechnet heute.
»Ich suche ein paar cognacfarbene Fullbrogue Oxfords, möglichst mit …«
»Also, da muss ich gleich mal einhaken. Wollen Sie einen Fullbrogue oder einen Oxford? Da müssen Sie sich schon entscheiden.«
»Wie bitte?«
»Ich zeige es Ihnen.«
Dieses beflissene Lächeln. So schaut man einfältige Großväter an, denen man über die Straße hilft.
»Hier, sehen Sie? Daaas ist ein Brogue. Der hat Lochverzierungen, die sogenannten Brogues. Deswegen heißt er auch Brooogue, nicht wahr?«
Hilfe!
»Und das hier ist ein Oooxford. Ein Oxford ist iiimmer ganz glatt.«
Wie ist diese uneingeweihte, völlig ahnungslose Person hier hereingeraten? Ich will raus!
»Aber wenn Sie nicht gerade in einer Bank oder was Ähnlichem arbeiten, sollten Sie ruhig einen Brogue nehmen. Der passt dann auch zu weniger förmlichen Anlässen, sag ich immer. Wie wäre der hier zum Beispiel? Das ist ein sehr schöner Brogue, finde ich.«
Sie hält mir einen bordeauxfarbenen Semibrogue Oxford vor die Nase. Um diese Kreatur über die korrekte Klassifizierung von Herrenschuhen aufzuklären, bräuchte man eine geschlagene Stunde oder mehr.
Ich piepse, halb in Wut, halb in Panik: »Das ist ein Semibrogue. Ich möchte einen Fullbrogue.«
»Meinen Sie vielleicht sooo einen hier?«
»Nein! Das ist ein Monk!«
Für einen kurzen Moment schaut sie ratlos drein, aber dann scheint ihr ein Licht aufzugehen.
»Ah, jetzt weiß ich, Sie meinen einen Buuudapester. Schauen Sie mal deeen hier. Der hat so richtig schön viele Broguen. Zählen Sie nach, da werden Sie bis morgen nicht fertig, haha!«
Ich starre den
Weitere Kostenlose Bücher