Anderer Welten Kind (German Edition)
Blau und nicht gestreift. Den Pullover hatte sich Christian gewünscht, den Schlafanzug nicht. Einen Zeichenblock im DIN-A4-Format mit schwerem hellweißen Papier und einen kleinen rechteckigen Holzkasten mit einem Schiebedeckel, in dem ein Federkiel und ein Satz Zeichenfedern in einer ausgestanzten Form lagen. Ein Glas schwarze Pelikantinte. Von Renate einen sehr schönen Drehbleistift. Darüber freute er sich am meisten. Er hatte nicht damit gerechnet. Jetzt konnte er endlich richtig zeichnen und sehen, was wirklich in ihm steckte. Die bunten Teller waren prall gefüllt.
Seinem Vater hatten er und seine Schwester eine dunkelrote Krawatte geschenkt, der Mutter ein neues rotes Lederportemonnaie, zu dem Renate den größten Teil beisteuerte. Renate bekam den Seidenschal, den sie sich gewünscht hatte.
Die Weihnachtsgeschichte, diesmal ohne Stottern von Christian und Renate vorgetragen, im Lichte des Weihnachtsbaums, nur mit Silberkugeln und Lametta und weißen Kerzen geschmückt. Bunter Schmuck war tabu. Weihnachtslieder drehten wie jedes Jahr ihre Runden auf dem Plattenteller.
Die Stimmung war gelöster als in den vorangegangenen Tagen. Später würde Günter dazukommen, aber dieser Teil des Nachmittags war der Familie Lorenz vorbehalten. Fritz Lorenz, der seit seinem Absturz nur die allernotwendigsten Worte mit Christian gewechselt und ihn sonst links liegen gelassen hatte, näherte sich seinem Sohn wieder, fragte ihn nach der Schule und dem Sport und schaute ihn bei Abendbrotgesprächen auch mal an, nachdem er von Herbert gehört hatte, dass Christian doch mitführe und sie nun Quartier machen könnten. Christian hatte auf seine Nachfrage hin fast unmerklich genickt und gleich wieder weggeschaut. Auf den Vorschlag von Herbert, den Jungen doch mal von der Leine zu lassen, hatte er ablehnend bis schroff reagiert.
„Kümmre dich mal lieber um deinen Sohn! Haste genug mit zu tun.“
Ein reiner Abwehrschlag, weil Fritz natürlich sehr genau das gute Verhältnis von Herbert zu seinem Sohn kannte und Stefan viel gefestigter und klarer in der Sache schien als sein Sprössling. Dass Stefan eigentlich keine dezidierte Meinung hatte, eher indifferent und fast gleichgültig den Ideen der Väter gegenüberstand und aus Liebe zu seinem Vater mitfuhr, wusste Fritz nicht. Stefan war in hohem Maße unpolitisch und verteidigte nichts, vor allem nicht in der Öffentlichkeit. Vielleicht schaffte er es deswegen irgendwie immer, everybody’s darling zu sein.
Ingeborg hatte das Tagebuch nicht vergessen. Sie blieb Christian gegenüber distanziert freundlich, ließ keine Nähe zu, bemühte sich dennoch, nicht zu abweisend zu sein. Sie hoffte immer noch auf das Auftauchen des Buches. Die Weihnachtsatmosphäre tat ihr Übriges, stimmte sie weich. Sie sprach mit ihrem Sohn und hörte ihm zu. Christian war das recht, das schlechte Gewissen nagte weiterhin an ihm und ließ ihn ihr gegenüber unbeholfen und unsicher auftreten, froh, nicht noch mehr bestraft zu werden.
Die Erde schien sich für ihn nach den Turbulenzen der letzten Wochen wieder auf ihre normale Geschwindigkeit eingependelt zu haben. Nach dem Abend bei den Kremers kam kein neuer Sturm auf.
Der Besuch bei Kortens war glimpflicher verlaufen, als er gedacht hatte, nachdem er mit Helga allein war. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn vor ihrer Haustür mit einem ihr entgegengestreckten Marzipanherzen stehen zu sehen. Sein Rumgedruckse und seine linkische Art waren zwar nicht sehr erhellend, doch die Geste rührte sie. Marli Korten, die Christian nach den heftigen Ausbrüchen ihrer Tochter über diesen „blöden Idioten“ schon abgeschrieben hatte, schaute sie fragend an, erntete aber nur ein Schulterzucken und Helga verschwand mit Christian im Schlepptau in ihrem Zimmer. Marli Korten mochte Christian und sie fand, er tat ihrer Tochter gut. Welch ein Junge kam schon auf solch eine Idee! Deshalb sagte sie auch, als sie Christian öffnete und das Herz sah: „Da bist du ja wieder, das ist aber eine Überraschung!“ Und sie rief Helga, dass sie kommen solle, es sei jemand für sie da. Sie legte den Zeigefinger an den Mund und bedeutete ihm, leise zu sein.
„Komm rein“, sagte Helga nach einem kurzen Zögern. Das Schulterzucken, die gerunzelte Stirn auf die fragenden Augen ihrer Mutter drückten Überraschung und ein Ich-weiß-auch-nicht-was-ich-davon-halten-soll aus.
Was dann in ihrem Zimmer auf Christian einprasselte, war heftig.
„Was bildest du dir ein, mich so zu
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