Anderer Welten Kind (German Edition)
Diplomaten“, sagte Hildegard, „habe ich gelesen.“
Besonders die Diplomaten hatten es den Lesern und besonders den Leserinnen angetan, das war eine Welt so außerhalb von ihnen, dass ihre Vorstellungen davon Kapriolen schlugen.
Hildegard war davon nicht ausgenommen. „High Society“ hatte sie als neues Wort ihrem Wortschatz einverleibt und es lag eine gewisse Ehrfurcht darin, wie sie es aussprach, das „S“ und das „C“ hart mit der Zunge an den Gaumen gestoßen, das „O“ lang gedehnt wie im Wort „Soße“.
„Die Nitribitt hat das nicht anders verdient“, sagte sie, „den Frauen, die sich verkaufen, wird das wohl hoffentlich eine Lehre sein.“
Eine Edelnutte, das wäre bestimmt was anderes als die Clemensstraße, dachte Herbert, wie teuer die wohl wäre? In die Clemensstraße unten an der Trave zog es ihn manchmal und er sparte sich die zehn Mark vom Taschengeld ab, das Hildegard ihm monatlich zusteckte, nachdem sie penibel in einem kleinen Haushaltsbuch am Ersten des Monats die Ein- und Ausgaben bilanziert hatte. Er ging immer zu Marina, einer Prostituierten, die langsam in die Jahre kam, die aber keinen Anstoß an seiner Einbeinigkeit nahm. Nur einmal war er bei der Geilen Katharina, wie sie sich selbst anpries, gelandet, die mit dem zweckentfremdeten Rasierapparat mit Plüschkopf, einem umgebauten Braun S 50, aber da war er sofort gekommen und das war ihm peinlich gewesen. Oft passierte es nicht, vielleicht drei- bis viermal im Jahr, wenn der Druck zu groß wurde. Einen Unterschied zwischen schweinischem Verkehr und Verkehr in der Ehe, wie Fritz es ihm einmal bei einem ihrer Besäufnisse zu verklickern versuchte, machte er nicht: Den ehelichen Verkehr hatten Hildegard und er nach der Geburt Stefans einvernehmlich, ohne darüber zu sprechen, eingestellt, als wenn alles Bemühen vorher nur diesem einen Ziele unterworfen gewesen wäre. Das hinderte sie aber nicht daran, eine respektable und freundliche Ehe zu führen.
Es gab Kartoffelsalat und Würstchen. Christian, der sich nicht an dem Gespräch über die Nitribitt beteiligt hatte, vertiefte sich voll und ganz in sein Lieblingsessen. Nur ab und zu schaute er hoch, um zu nicken, wenn er das Gefühl hatte, es wurde von ihm erwartet.
„Vielleicht wollte der Mörder die Nitribitt ganz für sich“, sinnierte Hildegard, „vielleicht war er eifersüchtig. Ist doch ganz natürlich.“ Ihre romantische Ader war geweckt.
„Rosemarie“, Stefan war zum vertraulichen Vornamen übergegangen und kostete ihn auf der Zunge, „wäre doch schön blöd gewesen, wenn man überlegt, in welchen Kreisen sie sich bewegt hat.“
„Aber sie hätte doch leicht einen Millionär kriegen können, wie die Monroe in dem Film, wie hieß er noch, irgendwas mit Millionär …“
„Na, so einfach ist das auch nicht“, mischte sich Herbert ein, „welcher Millionär nimmt denn so eine?“ Was er dachte, sagte er lieber nicht.
Das Gespräch drehte sich weiter um diese Frage, bis schließlich alles zum Thema gesagt worden war, was gesagt werden konnte.
Sie saßen nun beim Tee und gerade, als Hildegard sich anschickte, den Tisch abzuräumen und die Jungen in Stefans Zimmer gehen wollten, sagte Herbert Kremer nicht unfreundlich: „Christian, dein Vater hat mir erzählt, du willst nicht mit nach Rendsburg?“
Der Abend hätte so schön enden können. Christian hätte vielleicht Stefan auf seine Seite gebracht. Er hatte sich überlegt, die Absage mit Helga zu begründen, wenn sie wieder zusammen sein würden. Sie hätten sich vornehmen können, gemeinsam die Sommerferien in Travemünde zu verbringen oder, sie hatte schon einmal so etwas angedeutet, er hätte mit ihr und ihren Eltern nach Österreich fahren können. Die Kortens wären sicherlich einverstanden gewesen.
Alle schauten ihn erwartungsvoll an. Hildegard Kremer setzte sich wieder. Wie immer fiel ihm auf Anhieb nichts ein. Zeit gewinnen und jetzt bloß nichts vermasseln, dachte er.
„Was hat Papa denn gesagt?“, fragte er.
Die Kremers wechselten Blicke. Stefan lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Das war jetzt nicht sein Spiel. Seine Eltern würden das jetzt übernehmen, was ihm nach der Aussprache sehr gelegen kam. Egal, wie es ausginge, er würde sich heraushalten, er wollte nicht schon wieder diese Sprachlosigkeit zwischen sich und Christian. Rendsburg war wichtig, aber so wichtig nun wieder auch nicht. Auch er hatte mitbekommen, dass zwischen den Ansichten seiner Eltern
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