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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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ein und er freute sich auf den Besuch bei ihm. Wenn der ihn jetzt so sehen könnte! Und er stellte sich sogar vor, dass, wenn er jetzt hier auftauchen würde, hier in dieser Atmosphäre, es vielleicht ganz unkompliziert sein könnte. Aber man soll den Teufel nicht an die Wand malen. Es war besser so, er würde ihm von dem Abend erzählen.
    Seine Eltern wussten nicht, dass er hier war. Er hatte Stefan dazu verdonnert, seinen Eltern ebenfalls zu erzählen, sie wären auf einem Nachmittagstanztee im Ruderclub. Da durfte er bis zehn, halb elf bleiben.
    Die Tanztees waren öde Veranstaltungen, kaum besucht, mit schlechter Musik und noch schlechter gelaunten Lehrern, die den Samstagnachmittag und Abend zu diesem Dienst verdonnert worden waren. Diejenigen, die hingingen – Christian war zwei-, dreimal dort gewesen –, mühten sich mit Standardtänzen ab und standen die meiste Zeit herum, weil ein eklatanter Mädchenmangel vorherrschte.
    Christian saugte tief die Luft ein, eine Mischung aus der Hitze der tanzenden Körper, dem Rauch und dem leicht muffigen Geruch der mit undefinierbar dunklem Stoff bezogenen, Schweiß saugenden Sitzecken, der diesen Raum wie eine Marke prägte. Das war seine Luft. Mit ihr saugte er die Freiheit ein, nach der er sich so sehnte. Das war seine Welt. Das war natürlich nicht seine Welt, es war die Welt seiner Träume und er setzte gerade die ersten zögerlichen Schritte hinein.
    Viele Leute, die hierherkamen, selbst aus Hamburg, wie er an den Nummerschildern der geparkten Autos gesehen hatte, gefielen ihm, mehr noch, sie zogen ihn an und er wäre gern Teil von ihnen gewesen. Sie standen so lässig und selbstverständlich herum, sie schienen sich alle zu kennen, riefen sich Scherze zu, begrüßten sich wie alte Bekannte, waren in intensive Gespräche vertieft. Manche Männer rauchten Pfeife, Haltung und Kleidung wirkten zwanglos salopp, die Haare im Nacken waren länger und ragten über den Rollkragen. Sie schienen sich mit der Musik auszukennen, denn manchmal klatschten und riefen sie schon nach den ersten Takten, besonders, wenn die Band Bebop spielte – was sie zugegebenermaßen recht selten tat.
    Ach, wie gern würde Christian sich hier richtig wohlfühlen, selbstverständlich wohlfühlen und nicht nur so geliehen, so fremdelnd. Wieso schienen Helga und Stefan so unbeeindruckt von ihrer Umgebung, wie sie lachend und mit weit ausholenden Bewegungen die Tanzfläche durchpflügten, als wenn sie hier schon immer gewesen wären? Er verstand das nicht, hatte keinen Begriff von elterlicher Prägung und sozialer Kompetenz. Er wusste nur, dass ihn alles magisch lockte, was bei ihm zu Hause tabuisiert war und zu heftigsten Zankereien führte.
    Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf Chris O’Brien und seine Band. Viele Schwarze hatte Christian noch nicht gesehen, nicht so nahe jedenfalls. Die Männer aus dem Trinidad waren rabenschwarz und ihre Haut glänzte. Ihr Lachen war ansteckend. Sie waren von einem anderen Stern. Sie spielten jetzt einen Dixie, den O’Brien mit dem Titel After You’ve Gone angekündigt hatte. Er erzählte dazu eine kleine Geschichte, die Christian nicht mitbekam. Den Kauderwelsch, der bei ihm anschwappte, konnte er nicht verstehen, die Paare auf der Tanzfläche lachten und klatschten nach der Ansage. Der Gitarrist hatte sein Instrument gegen eine Steelgitarre eingetauscht, die einen wunderschönen silbernen Corpus hatte, in dem zwei Notenschlüssel ausgestanzt waren. Das Saxophon von Chris O’Brien wirkte verschlissen stumpf und war schon leicht eingebeult. Christian konnte sich nicht sattsehen an dem Instrument und wie sicher und geschickt der Musiker es hielt, als wenn es ihm angewachsen wäre, ein Gebrauchsgegenstand, mehr noch, ein Werkzeug, gemacht für den alltäglichen Arbeitseinsatz. Auch die Glitzerjacketts und die Hosen mit den paillettenbesetzten Biesen waren vom vielen Tragen ein wenig außer Form geraten, blanke Stellen verrieten ihr Alter und ihren Einsatz.
    Welch ein spießiges und rückwärtsgewandtes Leben doch sein Elternhaus dagegen darstellte! In der von den Eltern behausten Heimatlichkeit ließen seine Eltern nichts zu, was nicht schon x-mal den Sicherheitskordon passiert hatte, den ihre Mixturen aus kalter Heimat und Vorurteilen bildeten. Alles, was Aufgeschlossenheit suggerieren könnte, die neue, moderne Wohnausstattung zum Beispiel, musste äußerlich bleiben angesichts ihrer verbohrten Sicht der Dinge. In Christian verdichteten sich ihre Ansichten

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