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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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Jim, 1956.
    „Na, wie findest du den?“ Rickys Ton war neutral.
    Christian zuckte wieder mit den Schultern, eine Bewegung, die sich im Zusammensein mit Ricky immer mehr durchsetzte.
    „Na, komm schon. Gefällt er dir?“
    „Wie? Gefallen? Ich weiß nicht.“
    Christian kam die Frage, ob ihm ein Mann auf einem Foto gefallen könnte, so abstrus vor, dass er gar nicht wusste, was Ricky meinte.
    „Gefallen, gefällt dir das Foto? Findest du, dass der gut aussieht?“
    Christian schüttelte den Kopf. Er war jetzt zutiefst verunsichert. Was wollte Ricky bloß? Langsam wurde ihm wirklich unheimlich. Zuerst die Geschichte mit den Homos, dass die nicht krank sind, und jetzt soll ihm so ein Foto gefallen? Er versuchte es mit einem Grinsen, mehr schräg als schlecht. „Was soll mir daran gefallen?“
    Ricky schien durchaus amüsiert, als er die Not seines Besuchs wahrnahm, und er dachte an Wullenwevers Warnung und schaltete einen Gang zurück.
    „Ich meine, möchtest du nicht auch mal so aussehen? Du hast doch vorhin gesagt, dass dir die Halbstarken imponieren.“
    „Ja, schon.“
    Er stellte sich vor, was seine Eltern, was Helga oder Stefan sagen würden, wenn er so daherkäme. Bei Helga war er sich nicht so sicher, sie fände das wahrscheinlich gar nicht so übel, vielleicht wäre sie ja gern Rockerbraut und mit ihm zusammen auf einem Motorrad, stellte er sich vor, aber seine Eltern wären entsetzt. Wahrscheinlich würden sie ihn sofort ins Heim schicken. Ja, er würde gern so aussehen.
    Ricky nickte, dann verschwand er im Schlafzimmer. Als er wieder herauskam, hatte er ein paar Jeans, ein blau kariertes Hemd und eine schwarze Lederjacke, die, die er im Eiscafé getragen hatte, über dem Arm und spitze Stiefel mit Gummizug, einen Kamm und eine Haarbürste in den Händen.
    „Hier“, sagte er, „zieh mal über. Die Schuhgröße könnte stimmen, vielleicht sind sie ein bisschen groß. Die Jeans kannst du umschlagen.“
    Christian sagte: „Du meinst, ich soll die Sachen anziehen? Warum denn? Nee, das mach ich nicht.“
    Ricky schickte einen Blick zum Himmel.
    „Christian, ist doch nicht schlimm. Wir machen dich jetzt zum Elvis oder besser noch zu James Dean. Ist doch nichts dabei.“
    Er hielt Christian die Sachen hin und, weil er nicht so verklemmt dastehen wollte, wie er sich fühlte, nahm Christian sie.
    Als er sich den Pullover über den Kopf streifte, half ihm Ricky und zog an den Ärmeln.
    „Jetzt die Haare. Setz dich da hin.“ Ricky zog einen der Küchenstühle in den Flur. „Soll ich oder willst du selbst?“ Er hielt ihm einen kleinen Spiegel hin. Christian kämmte sich die Haare nach hinten, aber sie waren so fein, dass sie immer wieder in die Stirn fielen.
    „Warte mal, so geht das nicht.“
    Ricky hantierte in der Küche herum und als er wieder herauskam, hatte er eine kleine Schüssel mit Zuckerwasser angerührt.
    „Halt still, ist ein bisschen kalt. Eigentlich müssten wir Bier nehmen, habe aber keins im Haus.“
    Er träufelte mit seinen Fingern eine kleine Kaskade Wasser ins Haar und begann es zu durchwuseln. Christian hielt ganz still. Dann nahm er die Bürste und strich die Haare erst an den Seiten und dann oben mit systematischen kleinen Strichen nach hinten. Als sie platt anlagen, drückte er die Tolle in die Stirn.
    Christian, der die Prozedur in dem kleinen Spiegel beobachtete, sah, wie sich sein Gesicht veränderte, wie die Wangenknochen stärker hervortraten, das Kinn kantiger das Gesicht dominierte und es insgesamt schmaler machte, und wie ihm sich sein eigener Kopf entfremdete. Fasziniert und ein wenig ungläubig betrachtete er sich.
    Schon als er die Jeans und die Stiefeletten übergestreift hatte, hatte sich seine Körperhaltung verändert und er fühlte sich plötzlich so … so anders, stärker, unangreifbarer. Seine Bewegungen wurden entschiedener, seine Körperspannung nahm zu. Die Lederjacke vollendete die Metamorphose. Er stolzierte im Zimmer umher, die Stiefel setzten hart auf und er wurde mit jeder Runde innerlich rotzfrecher. Ricky beobachtete ihn vom Flur aus. In seiner Hand hielt er eine Agfa Clack 620. Er hatte das Clibo Blitzlichtgerät schon eingesetzt, zögerte aber und legte die Kamera wieder weg.
    Christian sah vollkommen verändert, geradezu umwerfend aus. Ricky fand, er hätte wunderbar in Der Kreis gepasst.
    Mit der Verwandlung wuchs Christians Selbstbewusstsein. Die Rolle, in die er schlüpfte, machte er sich gleich zu eigen, zuerst noch als Spiel, aber je länger

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