Anderer Welten Kind (German Edition)
darauf verzichtete, sie zu signieren.
Er begann, sie ins Schlafzimmer zu räumen, darauf bedacht, sie diesmal mit der Leinwand-Vorderseite zur Wand zu stellen. Das Bett werde ich wohl nicht brauchen, dachte er, schade eigentlich. Und mit einem schnellen Blick auf das schmuddelige Laken, dessen einst weiße Farbe längst einem undefinierbaren Grau gewichen war, fügte er bei sich hinzu: Ist auch besser so.
Plötzlich sah er die Ärmlichkeit seines Schlafzimmers, das diesen Namen nicht verdiente. Ein schmales Bett an der Wand, ungemacht und ohne Tagesdecke, mit einem Eisengestell und einer durchgehangenen, bei jeder Bewegung quietschenden Stahlfederbespannung, eine durchgelegene Seegrasmatratze, das Plumeau, in dem sich die Federn zu dicken Knäueln verklebt hatten, mit einem Leinenbezug in der Farbe des Lakens. Dazu ein kleiner Nachttisch aus billigem Kiefernholz, darauf eine Lampe mit einem Schirm aus verblichenem Leinen. Unter dem Fenster stand ein Tisch mit gedrechselten Beinen. Er fiel sofort ins Auge, weil er vollkommen leer war. Davor ein dunkelbrauner Stuhl. Gegenüber dem Bett war ein Fuß eines einfachen Holzschranks durch eine Konservendose ersetzt. Seine Türen waren geschlossen. Auf dem Schrank war ein brauner Koffer aus beklebter Pappe verstaut. Auch hier keine Bilder an den Wänden. Es war fast so, als wollte er seine Existenz als Künstler leugnen und in der Wohnung keine Spuren hinterlassen, als würde er hier in seiner intimsten Umgebung seine nach außen getragene Attitüde als Bohemien abstreifen und zum nackten Kern seiner Selbstzweifel zurückkehren, die seine Bilder in ihm auslösten.
Ricky nahm sich vor, mit dem Geld, das die Bilder ihm einbrächten, das Mobiliar gegen ein schönes altes Schlafzimmer aus Kirschholz auszutauschen, mit dem er bei Wullenwever schon oft geliebäugelt hatte. Hier jemanden hineinzulotsen, das kam ihm wirklich nicht in den Sinn.
Im Radio spielten die Berliner Philharmoniker aus Haydns Sinfonie Nr. 94 das Allegro Molto und Ricky summte mit, Überbleibsel seiner behüteten Kindheit, in der klassische Musik etwas Alltägliches war, und für einen Augenblick vergaß er Malskat, der sich, nachdem Ricky seine Sachen abgeholt, nicht wieder gemeldet hatte. Malskat hatte auch nicht geholfen, als Ricky seine Habseligkeiten in dem Ruderboot verstaut hatte, und hatte ihn mit verschränkten Armen vom Steg aus beobachtet, als er den Koffer mit den Malutensilien und den gerollten Leinwänden und die Staffelei am Ufer abgestellt hatte. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, ruderte Ricky das Boot zurück an den Steg und sie schauten aneinander vorbei, als Malskat ihn wieder ans Ufer brachte und sofort den Rückweg antrat. Das Geräusch des nahenden Busses hatte er schon nicht mehr vernommen; er war zurückgegangen in sein nunmehr von ihm allein besetztes Atelier, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Ricky schaute auf die Uhr. Staffelei und einige Farbtöpfe ließ er an seinem Platz. Wo bleibt Christian denn, dachte er, just als es klingelte.
Als er öffnete, entstand zuerst einmal die Befangenheit, der Sprachlosigkeit folgt und die sich schnell mit Floskeln füllt: „Du hast ja gut hergefunden“, „Mistiges Wetter“ oder „Mach es dir bequem.“ Es gab nichts zum Bequemmachen in dem Zimmer, in das Christian trat.
Christians Neugierde auf die Wohnung war nicht zu übersehen. Er schaute sich suchend um und schien enttäuscht zu sein über die Leere und schielte nach dem anderen Zimmer, ob sich nicht hinter der halbverschlossenen Tür ein Atelier offenbarte und er nicht doch künstlerische Atmosphäre erhaschen könnte. Außer den Töpfen mit den Pinseln und der leeren Staffelei wies nichts auf Malerei hin. Auf einem runden Tisch, der an die Resopaltische im Venezia erinnerte, lagen ein paar Zeitschriften, ganz oben Der Kreis. Über die beiden Stühle waren achtlos Kleider verstreut. Sonst schien der Raum seltsam unbewohnt. Auf den unbearbeiteten hellbraunen Holzdielen flockte sich Staub zu kleinen Mäusen.
Erst einmal Tee trinken. Ricky dirigierte ihn Richtung Küche, die klein war und kaum Platz für mehr als zwei Personen bot. Ein hellbrauner, quadratischer Tisch, eine den Raum füllende weiß gestrichene Anrichte aus Wullenwevers Fundus, eine Spüle, über der Spüle ein Fenster, die Scheiben mit Fetttröpfchen besprenkelt. Die Stores waren am abblätternden Holzrahmen mit einem Band zusammengerafft und mit einer Reißzwecke befestigt, ein Kohleherd mit drei Kochplatten. In
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