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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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er die Vorstellung genoss, er könnte so sein, wie er aussah, desto mehr spürte er die unbändige Lust, auch tatsächlich diese Rolle auszufüllen. Mit diesen Stiefeln, diesen Jeans, dieser Lederjacke und vor allem mit dieser Frisur konnte er der Welt begegnen und musste ihr nicht länger ausweichen.
    „Stell dich mal vor die Wand. Ich mach ein Foto von dir.“
    Ricky hatte wieder den Fotoapparat in der Hand. Christian posierte so authentisch wie möglich in Anlehnung an das Foto im Der Kreis, aber als er sich bewusst machen wollte, wie Halbstarke stehen, entglitt ihm das Bild und er landete, wo er immer auf Fotos landete, auf Standbein und Spielbein.
    „Nicht so.“ Ricky lenkte ihn. „Gewicht auf beiden Beinen, Füße auseinander, Brust raus!“
    Endlich stand Christian in der lässigen Haltung eines Halbstarken, den Blick auf das Kameraauge gerichtet, und aus dem angedeuteten Lächeln wurde schließlich ein Grinsen.
    Sie machten noch zwei Fotos von Christian und eins mit Selbstauslöser, nachdem Ricky die Kamera auf einem Stuhl platziert hatte. Ricky hatte seinen Unterarm in einer fast selbstverständlichen Geste auf Christians Schulter gelegt. Beide hielten ihre Köpfe zueinander geneigt und schauten lächelnd in der Erwartung des Blitzes in die Kamera. Ricky stand mit gekreuzten Füßen, während Christian seinen Part des geerdeten harten Jungen beibehielt.
    „Du kriegst einen Abzug, wenn ich sie entwickelt habe“, sagte Ricky.
    Sein Blick ruhte auf Christian und er verzog seinen Mund, als ob er nachdächte, die Augen zu Schlitzen verengt. Christian bemerkte sein Zögern und fragte, was er habe.
    „Nichts“, antwortete Ricky, „nur so eine Idee.“
    Christian insistierte nicht weiter und Ricky fügte, Christian immer noch musternd, hinzu: „Ich hätte auch Lust, mich zu verkleiden.“
    Christian stutzte, weil Ricky plötzlich angespannt aussah. Aber bevor er etwas erwidern konnte, war Ricky im Schlafzimmer verschwunden. Die Tür zog er hinter sich zu.
    Während Christian allein blieb, ging er in dem Zimmer hin und her und genoss seinen Anblick, indem er an sich herunterschaute und gleichzeitig die Kleidungsstücke betastete. An den spitzen Stiefeln, auf denen die unten engen, umgeschlagenen Jeans so auflagen, dass die Seitengummierung gerade noch hervorlugte, konnte er sich nicht sattsehen. Er spürte mit den Händen nach, ob die Hose eng am Hintern saß, sie schlug leider Falten. Sie war eindeutig zu groß. Ein ums andere Mal nahm er den kleinen runden Spiegel vom Tisch und betrachte seinen Kopf von allen Seiten. Zu gern hätte er sich auch von hinten gesehen. Mit den Fingern ertastete er, ob die Haare den kleinen Stehkragen der Lederjacke berührten, musste aber enttäuscht feststellen, dass gut zwei Finger zwischen Haaransatz und Kragen passten. Er beschloss, seine Haare wachsen zu lassen, auch gegen den Widerstand seiner Eltern. Er tagträumte, dass sie ihn anders behandeln würden, wenn er tatsächlich dieser Halbstarke wäre, den er jetzt gab. Obwohl, sicher war er sich nicht, denn es war etwas anderes, hier zu stehen und zu posieren, als sich draußen unter den Blicken aller zu behaupten, so gut kannte er sich und sein ängstliches Wesen. Aber der Traum war so schön und er war es gewohnt, in seinen Fantasien Vorstellungen auszukosten, die keiner Prüfung durch die Wirklichkeit standhalten mussten. Gleichzeitig erzeugten sie dennoch eine innere Triebkraft und Orientierung, die ihn leiteten. Wäre er sonst ins Deepenmoor gegangen?
    Rickys Verkleidung dauerte ewig. Was denkt der sich bloß aus?, fragte sich Christian.
    Plötzlich ging die Schlafzimmertür auf und im Rahmen stand – eine Frau. Christian riss seinen Kopf herum, alle Bewegungen gerieten in Stillstand und er glotzte, den Mund halb aufgesperrt. Dort stand sie, eine Hand an der Hüfte, die andere gegen den Türrahmen gestreckt, die Achselbehaarung bildete ein dunkle Insel im weißen Fleisch des Oberarms, der Oberkörper folgte der Hand, sodass er eine leichte Schräglage einnahm. Ein Knie war angewinkelt, die Pumps leuchteten rot und passten nicht recht zu dem blau-grauen ärmellosen Kleid, dessen Busenabnäher Falten warfen. Ricky hatte darauf verzichtet, sich einen BH umzuschnallen, was die Wirkung seiner Erscheinung aber nicht minderte. Ein frivoles Lächeln umspielte den knallrot geschminkten Mund. Das Gesicht war stark gepudert, es wirkte wie überpinselt. Der schmale Schnurrbart lag wie ein dunkler Schatten auf der Oberlippe. Die

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