Anderer Welten Kind (German Edition)
Reviergestellung. Johannes war eben hier. Er ist so glücklich und zufrieden. Soll ich ihm alle Ideale nehmen? In ihm alles zertreten? So grausam kann ich nicht sein. – Morgen mehr.
Freitag, den 28.II. 30
Eben ist mein Johannes fortgegangen. Heute vormittag bin ich mit Rolf spazieren gegangen. Ich bin nach meiner „Krankheit“ erst heute das erste Mal rausgekommen. Es war sehr, sehr schön. Ein warmer, sonniger Frühlingstag. Jetzt ist es 10 Uhr Abends. Um 11 Uhr muss ich an der Landestheater sein um Rolf zu treffen. Ich werde ihm heute gar nicht sagen, dass Johannes hier war. Wozu ihn unnütz eifersüchtig machen? „Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss“. Morgen will ich mit Johannes spazieren gehen. Einmal wieder bummeln. Am Sonntag mit Rolf. Abends bin ich mit Rolf zu Bergers eingeladen. Na hoffentlich klappt alles. Heute bin ich mit Rolf zum Film „Die Nacht gehört uns“ gegangen. Es war sehr schön. Am Freitag ist mein 26. Geburtstag. Ich muss bis dahin noch tüchtig verdienen, damit ich ein paar Leutchen einladen kann. Wie ich das mit Johannes und Rolf machen werde, ist mir vorläufig noch ein Rätsel. Na kommt Zeit, kommt Rat. Mama die schimpft schon sehr, dass ich mit Beiden zur gleichen Zeit verkehre. Sie hat ja auch Recht, aber was soll ich tun? Es ist so sehr schwer.
Über sich brauchte er sich wirklich nicht zu wundern. Bei der Tante! Auch er hatte es im Blut, dieses Suchen. Hatte er ihre Unmoral geerbt? Verhielt er sich im Prinzip nicht genauso wie sie? Tante Hermine hatte gelitten in ihrer Sucht nach Liebe, aber gleichzeitig hatte sie sich über alle moralischen Vorbehalte hinweggesetzt und ist ihren Trieben gefolgt. Fritz hatte einmal von der leichtfertigen Person gesprochen. Das war sie nicht. Sie machte es sich schwer, gerade so wie Christian auch. Er fühlte sich durch sie bestätigt und tatsächlich konnte sie seine Einsamkeit für den Augenblick mildern, aber später, nachts, durchlebte er erneut zuerst den Schock und dann die Angst, die sich in der Dunkelheit des Zimmers grenzenlos ausbreiten konnten.
Der Schock kam Arm in Arm mit der Frage: Bin ich jetzt ein Homo? Und die Angst mit der Ungewissheit, er könnte es sein. Umgepolt, Hinterlader, Arschficker – das hatte er nicht getan! –, Hundertfünfundsiebziger, Tunte, Perverser. Sah man es ihm an? Sofort fielen ihm Henze und die Jungen aus dem Vierer ein, der hatte doch einen Blick dafür! Ein Blinzeln seiner Augen würde genügen und Henze wüsste alles. Christian duckte sich in Gedanken weg. Würde sich Ricky an das Versprechen halten, dass er zum Abschied, jetzt wieder fremd und ungelenk, eingefordert hatte: „Du musst mir versprechen, niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen, das bleibt unser Geheimnis.“
Sonst landen wir in Teufels Küche, fügte er in Gedanken hinzu. Beide ahnten, dass sich so ein Nachmittag nicht wiederholen würde. Ricky verbuchte ihn schon auf seiner Habenseite als eine schöne Erinnerung, als einmaligen Akt, so viel sagte ihm seine Erfahrung. Aber vielleicht, man weiß ja nie, was kommt, dachte er, sich eine Tür offen lassend. Wullenwever würde er jedenfalls nicht die Flanke in Form einer Beichte eröffnen, ihm die Geschichte madig zu machen.
Helga! Frauen merken so etwas. Instinktiv wusste Christan, dass er sehr aufpassen musste. Helga. Er hatte die ganze Zeit über nicht an sie gedacht, hatte sie nicht im Stillen gebeten, ihm beizustehen, als seine Not am größten war, hatte sie nicht neben sich gespürt, um Ricky auf Distanz zu halten, hatte ihren Körper nicht in die Waagschale geworfen, um Rickys Körper abzulehnen, hatte sie schlicht vergessen.
Jetzt zwang er sich, an ihr gemeinsames Petting zu denken, beschwor das Bild von ihrem Körper herauf, ihren kleinen, festen Brüsten, der Weichheit ihrer Schenkel, und steigerte sich endlich in die Vorstellung ihrer Scham hinein, sodass er mit diesem Bild, in das sich die Szenen des Nachmittags mischten – sie ließen sich einfach nicht wegdrücken –, onanieren und in den Schlaf gleiten konnte, einem leichten, oberflächlichen, flatterhaften Schlaf, mit neuen Dämonen bevölkert, von dem er vollkommen gerädert schon vor der Zeit erwachte. Ricky in seinen Frauenkleidern kam ihm an diesem Morgen grauenvoll vor. Er hatte ihn nicht einmal nach Malskat gefragt.
13. Kapitel
Das Wetter in diesen letzten Tagen des Jahres blieb nach der großen Kältewelle Mitte Dezember schmuddelig und ungemütlich. Selten erreichte das Thermometer
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