Anderer Welten Kind (German Edition)
Holz, das mit zwei Flügeltüren verschlossen war.
Für Ingeborg war der Fernsehapparat das Symbol einer neuen Stufe auf der sozialen Leiter. Jetzt war sie angekommen, denn nun begann für die Familie Lorenz die Teilnahme an den Errungenschaften der neuen Zeit. Besonders gefiel Ingeborg der Gedanke, dass gerade der nicht sichtbare Wohlstand, den ein in einem Möbel untergebrachter Fernseher darstellte, der eigentliche Clou war, da er Bescheidenheit ausdrückte, und Protzertum war ihr zuwider. Die Kreditablösung entsprach der Höhe der Abgabe von Renates Lehrgeld, das brauchte aber niemand zu wissen. Gleichzeitig war das Sideboard so elegant und in seiner Funktion so eindeutig, dass sie lächeln musste, wenn sie sich vorstellte, auf fragende Blicke mit einem kurzen, bestätigenden Nicken zu antworten.
Welch eine Veränderung gegenüber dem Loch im Kaninchenbergweg in Eichholz! Dort hockten sie zu viert in zwei Zimmern, vollgepfropft mit einem Durcheinander gespendeter Möbel vom Roten Kreuz, stillos und hässlich. Welch ein Unterschied! Vier Zimmer, Balkon mit Geranien in den Blumenkästen und Blick auf das große Rondell mit dem Spielplatz und den neu angelegten Wegen zwischen den Grasflächen anstelle des brachliegenden Ackers, ein Bad mit Holzofen anstelle des Waschbeckens und der Toilette im Hof. Und für die Kinder eigene Zimmer. Sie waren ja jetzt in dem Alter …
Ingeborg Lorenz dachte den Satz nicht zu Ende, denn sie hörte den Schlüssel in der Wohnungstür und mit Fritz Lorenz veränderte sich ihre Stimmung und sie begann zielstrebig den Tisch zu decken. Sie konnte nichts dagegen tun; sie wappnete sich unbewusst gegen die Aura ihres Mannes. Sie hörte ihn ein paar Worte mit Christian wechseln, dann betrat er das Zimmer und jetzt entschied sich, ob der Abend spannungsgeladen, freundlich, sanft, gereizt, traurig oder gar hässlich beginnen würde. Ihr Mann hatte einen Mund, der in Nuancen Stimmungen und Launen offenbarte, der die beiden Falten, die sich von der Nase zu den Mundwinkeln zogen, vertiefen oder verflachen ließ, der preisgeben musste, was den Mann im Inneren bewegte. Sie musste ihr gesamtes Arsenal möglicher Reaktionen mobilisieren, um adäquat zu verstärken, zu besänftigen, zu verstehen, zu teilen oder sich aus der Schusslinie zu bringen. Es ging um Sekundenbruchteile für den richtigen Reflex, kaum wahrnehmbar, eigentlich nicht artikulierbar. Dennoch entschied er darüber, ob die Bewegung des Mannes in das Zimmer hineinfließend blieb oder ins Stocken geriet und der Beginn des Abends in dem oft vergeblichen Versuch verlief, die Wogen der Disharmonie zu glätten.
Fritz Lorenz hatte schlechte Laune. Deshalb küsste er seine Frau nur ganz kurz, er streifte eher die Lippen, als dass er sie berührte. Er spürte ihre zunehmende Spannung und begegnete ihr mit Distanz, er hatte kein anderes Mittel, hatte es nie gehabt. Dabei hatte seine schlechte Laune heute einen Grund. Ewers aus der Personalabteilung hatte ihn angerufen, um ihm mitzuteilen, dass es mit der Versetzung an den neuen Standort in Brandenbaum nichts würde, sein Kollege Sievering würde die neue Stelle antreten. Jeden Tag zur Kronsforder Allee zu fahren, das war eine Sache, aber der neue Standort mit dem großen Wagenpark war für die Auslandsgeschäfte Nord vorgesehen. Er hätte sich weiter qualifizieren können, vielleicht selbst einmal in Dänemark oder Schweden eine Niederlassung führen können, am liebsten Dänemark, das kannte er aus dem Krieg, das gefiel ihm, nette Menschen, freundlich und ohne Vorurteile, jedenfalls hatte er keine bemerkt, damals. Es war wie im Urlaub gewesen, keine Kampfhandlungen, kein Feindkontakt. Aarhus und Friederike. Kurz und heftig. Seiner Frau hatte er nichts erzählt. Sievering war ledig, an und für sich nicht gern gesehen in der Firma, aber für Auslandsaufenthalte bestens geeignet. Finanziell wäre er auch besser gestanden, da Brandenbaum Büroleitung bedeutete.
„Wir brauchen dich hier“, hatte Ewers ihm die Absage ein bisschen lahm zu versüßen versucht, „du bist unser Mann für Lübeck und Umgebung, dich kennen die Kunden, du hast gute Kontakte zu den anderen Speditionen, ist besser so.“
Fritz Lorenz kannte den wahren Grund. Er hatte das Speditionsgeschäft nach dem Krieg nur angelernt, hatte nach seiner kaufmännischen Lehre, die er in einem kleinen Kaufhaus in Königsberg beendet hatte, als Verkäufer gearbeitet, seine ganze Freizeit und Begeisterung für die neue Zeit des
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