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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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Schritte. Er hatte keinen Blick dafür. Nur das Rauschen des Windes in den Wipfeln der Bäume und das sanfte Geräusch der Reibung des Hosenstoffes und der Anorakärmel begleiteten ihn, als er, Schritt vor Schritt setzend, das Lauerholz durchquerte.
    Er würde nicht mehr den Beobachtungsposten einnehmen. Immer wieder schoss ihm dieser Gedanke in den Kopf. Es war eine Niederlage. Er war seinem Ziel kein Stück näher gekommen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er rammte sie in die Anoraktaschen. Wullenwever fiel ihm ein, vielleicht sollte er ihn nach Malskat fragen. Der kannte ihn doch auch, hatte Ricky jedenfalls behauptet. Er verwarf den Gedanken wieder. Wozu? Sein Enthusiasmus war einem schier grenzenlosen Selbstzweifel gewichen. Ich habe mir etwas vorgemacht, dachte er. Es war eine Schnapsidee von mir. Ricky und Malskat, da ist gar nichts, was mir genützt hätte. So wie Ricky auf Malskat reagierte, wenn ich ihn nach ihm fragte, hätte ich mir denken können, dass da nichts ist. Aber wieso war Ricky dann auf der Insel? Wieso hat er dort sein Atelier?
    Christian erinnerte sich nicht, dass Ricky dort nicht mehr malte. Und als er über diesen Punkt nachdachte, stutzte er. Er hätte ja auch Ricky an der Insel treffen können. Wieso hatte er daran überhaupt nicht gedacht? Ach ja, es fiel ihm wieder ein, dass er erwähnt hätte, eher beiläufig und mit diesem Zug um den Mund, er würde dort nicht mehr malen? Er wusste langsam überhaupt nicht mehr, was er denken sollte. Wollte er Ricky überhaupt wiedersehen? Er lachte stumm in sich hinein, einem Aufstöhnen ähnlich. Wenn nicht, warum war er dann in den Ferien bei jeder Gelegenheit ums Venezia geschlichen und hatte in die beschlagenen Fenster gestarrt? Warum hatte es ihm jedes Mal einen kleinen Stich ins Herz gegeben, wenn er ihn nicht gesehen hatte, und warum hatte er es nicht gewagt hineinzugehen, als er ihn einmal mit Wullenwever an dem selben Tisch wie damals in der Ecke hatte sitzen sehen, und war stattdessen sogleich panisch davongestürzt und hatte sich anschließend einen Feigling und Idioten geschimpft! Er trat auf eine kleine mit Eis überzogene Pfütze, die knisternd nachgab, und durch einen Riss blubberte schwarzes Wasser und umspülte seinen Schuh. Das war also das Ende der Geschichte. Jetzt war er froh, dass er niemandem etwas erzählt hatte. Wie lächerlich er sich gemacht hätte!
    „Mannomann“, sagte er laut vor sich hin, „das wär was geworden. Wenigstens brauch ich keinem etwas zu erklären. Geht ja auch keinen was an.“ Und schon gar nicht Helga, fügte er in Gedanken hinzu.
    Zu Hause stürzte er sich in die Vorbereitungen auf die Schule. Pedantisch schlug er Schulbücher in neues Zeitungspapier ein, beschriftete Hefte, spitze Bleistifte an und begann, den Unterrichtsstoff der letzten Wochen zu wiederholen. So abgelenkt, beruhigte er sich wieder etwas. Morgen würde er den letzten Ferientag mit Helga verbringen. Sie wollten sich schon vormittags treffen und in der Stadt noch ein paar Schulhefte und Kugelschreiber kaufen und bummeln gehen. Er begann, sich so zu freuen, als wenn er sich nichts sehnlicher wünschte als einen ausgiebigen Stadtspaziergang Hand in Hand mit Helga.
    Helga traf ihn mit gemischten Gefühlen. Sie fühlte sich begehrt und damit attraktiv und zu ihm hingezogen. Ihr Gang schwang ein bisschen mehr als gewöhnlich, als wenn ihr Körper diesen Reiz auskostete, und sie achtete bei ihrer Garderobe auf die richtigen Signale. Nylonstrümpfe oder Steghosen, Blusen mit Abnähern am Busen und mit nur einem auffälligen Knopf, der, öffnete sie ihn, das Dekolleté freigäbe. Gleichzeitig war ihr nicht ganz wohl. Die stürmische Hinwendung von Christian war ihr zu schnell, zu unvermittelt gegangen. Das Misstrauen, das sich während seiner Bemühungen um sie gebildet hatte, war nicht ganz abzuschütteln. Aber sie konnte dem nicht auf den Grund gehen, vielleicht gab es ja auch keinen. Seine Verzweiflung sah sie ihm an, bezog sie auf seine Unsicherheit, mit ihr umzugehen. Er kannte eben keine Frauen, hatte keine Erfahrung. Und vor allem hatte er Angst.
    Die Erfahrungslosigkeit teilte sie mit ihm, seine Angst jedoch nicht. Sie war sich ihrer Bedürfnisse und Sehnsüchte sicherer und wollte auf keinen Fall in etwas reinrutschen, was sie hinterher bedauern würde. Das erste Mal sollte wunderschön sein und mit Geigen am Himmel. Sie wusste, dass sie sich ein ganzes Leben daran erinnern würde. Sie bezweifelte insgeheim, ob Christian

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