Anderer Welten Kind (German Edition)
über die anstehende Verlobung und dass Günter eine gute Wahl sei, „solide und verlässlich“.
„Und“, flüsterte sie augenzwinkernd Renate zu, „Männer müssen mal einen über den Durst trinken, da muss was raus. Sei nicht so streng mit ihm.“
Als sich gegen zwei Uhr morgens endlich alle verabschiedet hatten, räumte die Familie Lorenz gemeinsam auf. Die Familienrädchen griffen ineinander und liefen wie geschmiert. Zum Schluss klopfte Fritz Lorenz Christian noch einmal kräftig auf die Schulter und nuschelte: „Das war doch ein schöner Abend.“
Mit dem Ende der Ferien setzten schwere Stürme ein und Europa versank in einem Chaos aus Regen, Schneeverwehungen und Schlammmassen. Von der Schweiz bis Dänemark wurden schwere Sturmschäden vermeldet und in Holland und an der Nordsee brachen Deiche und das Wasser wurde in die dahinter liegenden Felder gedrückt. Der Winter war nicht gewillt, auch nur eine kleine Verschnaufpause einzulegen.
Trotzdem gab es keinen Aufschub der Weihnachtsferien wie im Herbst, als der Schulbetrieb wegen einer Grippeepidemie erst einige Tage später aufgenommen worden war.
Christian schleppte sich durch die letzte Ferienwoche und war froh, dass die Schule wieder beginnen sollte. Er war nicht mehr derselbe. Von Zweifeln geplagt hatte er sich immer wieder einzureden versucht, an der Sache mit Ricky sei nichts gewesen, ein purer Zufall, eine Situation, in die er hineingeschliddert war. Aber sein Abscheu an die Erinnerung, wenn sie in ihm wieder aufstieß wie eine schlecht verdaute Mahlzeit, war vermischt mit Erregungen, die ihn ebenso häufig überfielen, besonders nachts vor dem Einschlafen, und er widersetzte sich ihnen, indem er sie durch schnelles Onanieren und einen fast sachlichen, flachen Orgasmus loszuwerden versuchte. In ihm stimmte nichts mehr überein. Er war sehr schwer getroffen und verunsichert, mehr als über alles, was er in seinem Leben bisher erlebt hatte. Das war also bei dem Versuch herausgekommen, Malskat kennenlernen zu wollen. Auf der Couch von Ricky zu landen und Dinge zu tun, die er normalerweise als Schweinkram bezeichnet hätte.
Malskat rückte wieder stärker in sein Bewusstsein. Sollte er es nicht noch einmal versuchen? Der war doch sein eigentliches Ziel. Ricky mochte er nach ihm nicht mehr fragen, der wich aus. Er musste feststellen, dass er überhaupt nichts über die Beziehung zwischen Malskat und Ricky wusste. So richtig gelang es ihm nicht, Ricky für sich als zweite Wahl hinzustellen.
Am vorletzten Ferientag stand er wieder auf seinem Beobachtungsposten. Das Brombeergebüsch bot nicht mehr viel Schutz, aber das war ihm egal. Das schwarze Wasser wurde von kalten Windböen bestrichen, die ihm glücklicherweise in den Rücken bliesen. Die Stille, die sonst hier herrschte, wurde durch das Rauschen des Windes in den Baumkronen überlagert. Eine Ente quakte. Die Insel war verwaist. Die Fenstergardinen der Kate waren zugezogen, die Dachluken geschlossen.
Das Boot lag nicht am Steg. Christian seufzte, war enttäuscht. Auch im Atelier bewegte sich nichts, soweit er es durch die Birken schimmern sah. Auf einmal stand es ihm so deutlich wie nie vorher vor Augen: aus und vorbei. Er war am Ende seiner Geschichte angelangt. Er würde nicht mehr herkommen. Schade, er hatte es sich so gewünscht. Einmal hatte er sogar nach dem Erlebnis mit Ricky gedacht, auch Malskat könnte andersherum sein, hatte aber den Gedanken schnell wieder aufgegeben, als er sich erinnerte, in der Zeitung gelesen zu haben, dass er mit seinem Sohn in Skandinavien sei.
Plötzlich wurde er des Wartens unendlich müde, müde bis in die Knochen, und er machte sich auf den Heimweg, schleppte sich mehr denn er ging. Er drehte sich nicht mehr um, wusste instinktiv, dass auch das Boot fort sein würde. An der Straße nach Schlutup hielt leise tuckernd der städtische Bus. Er hatte ihn nicht kommen hören. Die Tür öffnete sich zischend, aber niemand stieg aus oder ein. Kurze Zeit später setzte er sich mit dröhnendem Motor in Bewegung, die Gänge krachten im Getriebe. Eine Regenspur hinter sich herziehend, tauchte der Bus in die nebelige Landschaft und mit seinem Verschwinden erstarben die Geräusche. Christian hatte kaum einen Blick auf den Bus geworfen, jetzt war er allein inmitten dieser verlassenen Einsamkeit. Die Rinden der Buchen schimmerten feucht blassgrün; in den Tannen hatten sich kleine Regentropfen an die Spitzen der Nadeln gesetzt. Das Laub auf dem Boden dämpfte die
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