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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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auf dem Weg nach Brandenbaum verlor er sich in seinen Grübeleien und aus dem Trotz, mit dem er durch das Training stürmte, wurde Kleinmut und Verzagtheit. Mit seinen Ruderkameraden wechselte er nur die notwendigsten Worte und hielt sich abseits, wenn sie ihre Witze rissen. Sie waren so mit sich selbst beschäftigt, dass sie seine Zurückhaltung gar nicht bemerkten. Wolle hielt sich jetzt an Jürgen. Vielleicht hoffte er so, in dessen Schatten Henze zu entkommen. Christian nahm es hin, ihm war es egal.
    Seine Sehnsucht nach Helga wuchs, je mehr sie ihm entglitt und je aussichtsloser die Möglichkeit wurde, sie noch einmal zurückzugewinnen. Abends in seinem Zimmer saß er an seinem Schreibtisch unter dem Fenster, Schreibpapier und Skizzenblock vor sich, und versuchte, Erklärungen und Liebesbeteuerungen zu Papier zu bringen, sie reichten noch nicht einmal für ein zweites Lesen und landeten zerknüllt im Papierkorb.
    Die Zeichnungen, mit denen er Helgas Gesicht und ihren Körper zu sich zu holen suchte, gelangen nicht, waren schemenhaft, ungenau, mit falschen Perspektiven, ihr Bild widersetzte sich ihm. Auch sie landeten zusammen mit den Briefen erst im Papierkorb und dann im Wohnzimmer im Ofen, wenn er allein in der Wohnung war.
    An Ricky dachte er nur noch im Zorn und gab ihm die Schuld an seinem Elend. Die Empörung über die Behandlung durch ihn konnte ihn dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er von ihm und den gemeinsamen Erlebnissen immer noch fasziniert war. Deshalb machte er sich keine Illusionen darüber, dass, falls er ihm wieder begegnen sollte, genauso schwach und ausgeliefert sein würde und Rickys Macht über ihn nicht gebrochen wäre. Er konnte seine Schwäche einfach nicht in Stärke umwandeln. Er durfte ihn nicht wiedersehen. Darin lag die Lösung.
    Tagesrhythmen, Alltagsrituale, Wiederholungen. Das morgendliche Kratzen an seiner Tür und die süßlich falsche Stimme seines Vaters, das stumme, gemeinsame Frühstück, nur gelockert durch den Zwang, sich absprechen zu müssen, der Weg zur Schule auf dem Fahrrad. So gewappnet mit einem Polster vertrauter Handlungsabläufe, die ihm nichts abverlangten, kam Christian immer besser in und durch die Tage. Das Herzklopfen, bevor er die Klasse betrat, besänftigte sich und er merkte plötzlich, dass sein erster Blick in den Klassenraum nicht mehr der Schulbank Helgas galt. Trotzdem beobachtete er sie scharf, wenn sie es nicht bemerkte, und Sehnsuchtsschübe überfielen ihn. Vielleicht gab es ja doch Anzeichen, die er nicht gleich registriert oder übersehen hatte? Sie verhielt sich neutral, lachte vielleicht ein bisschen weniger, zog sich schneller von den anderen zurück. Wenn sie doch nur zuerst auf ihn zukäme und alles wieder so sein würde, wie er es sich inzwischen einbildete, dass es gewesen sei. Das waren sein Tagtraum und der letzte Gedanke, bevor er einschlief.
    Die Tage verstrichen in der Trost spendenden Eintönigkeit und Christian beruhigte sich. Ende Februar fiel die Schule aus. Ein erneuter Wintereinbruch vom Bodensee bis Schleswig brachte Schneeverwehungen und Eiseskälte. Der Bundesgrenzschutz räumte im Großeinsatz die Straßen. Dörfer waren durch über zwei Meter hohe Schneewehen von der Außenwelt abgetrennt. In Lübeck war der Straßenverkehr blockiert, das Travehochwasser füllte schon zum zweiten Mal in diesem Winter die Keller der unteren Buden und Gassen. Als die Sonne durchbrach und in einem makellosen blauen Himmel die winterliche Landschaft einem Gemälde gleich modellierte, hatten die Menschen keinen Blick mehr dafür, so überdrüssig waren sie der Kälte und der Nässe, die den Kohlenhandlungen Lieferengpässe bescherten.
    Christian war froh über diese Unterbrechung. Er zog es immer noch vor, niemanden zu sehen oder zu sprechen. Er saß im Wohnzimmer auf einem der Sessel, die Füße auf der Couch, und las die Lübecker Nachrichten. Ingeborg war einkaufen. Er bestaunte das Foto vom Atomium, das hoch über eine Straßenzeile in der belgischen Hauptstadt hinausragte. Irgendetwas störte ihn an der Konstruktion. Sie schien aus dem Bild zu kippen, wie ein Mensch, der nur auf einem Bein steht und umzufallen droht. Als er die unscharfe Fotografie genauer in Augenschein nahm, stellte er fest, dass noch zwei Kugeln fehlten und Verstrebungen kopflos in den Himmel ragten und das Gebilde von riesigen Kränen im Hintergrund in der Balance gehalten wurde. Er malte sich aus, er säße später nach der Fertigstellung hoch oben in der

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