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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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abgelegt als komponiert. Der Raum dahinter war vollgestellt mit Möbeln, durch die kleine Gänge in das hintere Zimmer führten. Stühle und Tische waren bis unter die Decke aufeinandergestapelt; drei schwere Schlafzimmerschränke nahmen die hintere Wand ein. Durch die angelehnte Zimmertür zu einem der hinteren Räume tropfte ein Lichtstrahl auf den Boden. Christian klopfte jetzt drei-, viermal beherzter an die Tür, eine Klingel konnte er nicht entdecken.
    Im Antiquitätengeschäft rührte sich nichts. Doch als er noch lauter klopfte, hörte er ein unwilliges „Ja, ja, ich komme ja schon“ und im beleuchteten Türrahmen stand klein und verknittert Wullenwever und starrte hinaus, um den Störer auszumachen. Als er Christian gewahr wurde, schlurfte er zur Eingangstür, öffnete sie nur einen Spalt breit und steckte halb seinen Vogelkopf hinaus. Er sah noch hagerer und blasser aus, als Christian ihn in Erinnerung hatte. Die Augen lagen tief in den Höhlen und das bleiche Gesicht war unrasiert und schimmerte bläulich. Die fettigen Haare klebten am Kopf. Christian schlug der Geruch nach kaltem Tabak und ungelüfteten Räumen entgegen.
    „Ja?“, fragte Wullenwever. Er musterte Christian misstrauisch und wartete ab. Sein Mund hatte einen mürrischen Zug angenommen und er schien nicht erpicht darauf zu sein, Christian hereinzubitten.
    „Guten Tag“, sagte Christian, „Erinnern Sie sich an mich? Ich bin Christian und …“
    „Ich weiß, wer du bist“, unterbrach ihn Wullenwever, „du kommst wegen Ricky. Da kann ich dir auch nichts sagen.“
    Er wollte die Tür schließen.
    Also weiß er etwas, durchfuhr es Christian und er sagte schnell: „Warten Sie, ich habe es in der Zeitung gelesen. Können Sie mir nicht sagen, was passiert ist?“
    Als er Wullenwevers abweisendes Gesicht sah, fügte er leise „Bitte“ hinzu.
    Wullenwever zögerte, dann wackelte er kurz mit dem Kopf, seufzte einmal auf und öffnete schließlich die Ladentür.
    „Dann komm mal rein“, sagte er.
    Im hinteren Zimmer bullerte ein Kanonenofen und in dem überhitzten Zimmer waberte eine dumpfe Wärme. Christian war es sofort zu heiß und er entledigte sich seiner Cordjacke, aber Wullenwever schien die Hitze nichts auszumachen, im Gegenteil, unter seinem Zweireiher trug er einen dicken dunkelblauen Pullover mit einem ausgeleierten Rollkragen, in den er sein Kinn tauchte. Auf einer frei geräumten Ecke eines mit Bücherstapeln überfüllten Tisches stand eine Tasse mit dampfendem Tee und ein gelbes Reclambüchlein lag mit dem Rücken nach oben aufgeschlagen daneben. In einem kristallenen Aschenbecher quollen Zigarettenkippen in einer Pfütze bräunlichen Tees. Er bot Christian weder eine Tasse Tee noch einen Stuhl an, sondern wiederholte den Satz, dass er nichts zu Ricky sagen könne, weil er nichts wisse, außer, was in der Zeitung stünde.
    Christian versuchte es erneut: „Was hat er denn gemacht? Wieso der Hundertfünfundsiebziger und warum solche Bilder?“
    „Das müsstest du doch wissen“, sagte Wullenwever, „soviel ich von Ricky mitbekommen habe, war er nicht gerade stolz auf seine Geschichte mit dir, und was er für Bilder gemalt hat, weiß ich nicht. Hier jedenfalls …“, er schaute sich um, „hängt keins.“
    Christian stieg die Schamesröte ins Gesicht. „Sie wissen …?“
    „Mach dir mal keine Sorgen deswegen, das bleibt unter uns. Wir tratschen nicht.“ An der Reaktion Wullenwevers sah er, dass das „Wir“ ihm herausgerutscht war.
    Was meinte Wullenwever mit „Wir“? Er auch? Er vielleicht sogar mit Ricky?
    Christian war über diese Wendung des Gesprächs schockiert. So ein alter Mann und ein Homo? Wie sollte das gehen? Das überstieg seine Vorstellungskraft und er beschloss, das „Wir“ zu ignorieren. Es passte nicht hierher.
    Wullenwever betrachtete den Jungen und er dachte: Mein Gott, Ricky, bist du von allen guten Geistern verlassen? Die Unsicherheit und die Hilflosigkeit, die der Junge ausstrahlte, und vor allem die vollkommen naive Unwissenheit rührten ihn und er wurde weicher und fasste einen Entschluss.
    „Setz dich, mein Junge“, sagte er und zog einen mit Kleidung überbordenden Stuhl heran, die er achtlos auf einen der Bücherstapel fallen ließ, die den Boden bevölkerten.
    Er nahm das Reclambüchlein in seine Hand, blätterte ein paar Seiten zurück und sagte: „Das ist Rilke, ich lese dir mal ein Gedicht vor und dann erzähl ich dir eine Geschichte.“
    Christian gehorchte. Eigentlich wollte er

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